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Computerdemos
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Zu den neuesten Mediengattungen, mit denen sich die Kunstwissenschaft auseinandersetzt, gehören die Computerdemos. Das sind Programme, die keinen anderen Zweck verfolgen, als audiovisuelle Ausgaben zu generieren, welche dem Betrachter die Möglichkeiten des Mediums Computer vorführen. Dass diese Ausgaben ebenso ganz wesentlich von den Kenntnissen und Fertigkeiten der Künstler (hier der Demo-Programmierer) abhängen, ist – wie bei jeder anderen Kunstgattung – evident. Aber Computerdemos sind noch mehr als nur eine neue Form – sie sind auch historische und epistemische Objekte, mit denen ein individueller Zugang zu den Möglichkeiten und Grenzen des Computers ermöglicht wurde und immer noch wird.
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Als historische Objekte zeigen sie zum einen, welche Anforderungen Programmierer in den letzten sieben Jahrzehnten an die Maschinen gerichtet haben, um diesen bestimmte Outputs zu entlocken. Als eigene Softwaregattung entwickeln sie sich historisch parallel mit der Geschichte der Hardwares, auf denen sie implementiert wurden. Sie führen Funktionen von Computern vor Augen, die durch die reine Anschauung ihrer Hardware kaum zu erfahren wären. Als epistemische Dinge versetzen Demos Computer in den Zustand eines Werkzeugs, das sich allen Anforderungen und Wünschen der Programmierer zu beugen hat – und liegen doch so weitab von dem, was ›Standardsoftware‹ den Geräten abverlangt; nicht wenige Demos versuchen nämlich durch das Ausloten und Überschreiten technischer Grenzen Effekte zu erzeugen, die die Erbauer der Rechner nicht für möglich gehalten hätten. Demo-Programmierung ist damit stets auch Arbeit am Wissen – und die Kunst der Demo-Programmierung eine Form des Hackings, bei der sich Programmierer und Computer aneinander ›messen‹.
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Demos entstehen bereits in den Computer-Labors der 1950er- und 1960er Jahre – teils als technische Tests, teils, weil die Programmierer wissen wollen, ob es möglich ist, den Computer zu dieser oder jener Ausgabe zu programmieren. Mit dem Emergieren der ersten Homecomputer in den späten 1970er Jahren hat die Anzahl der Demo-Programme dann jedoch sprunghaft zugenommen. Die Begrenzungen der kleinen Computer wurden schnell als Herausforderung an das Können der Programmierer interpretiert und immer mehr Nutzer widmeten sich seitdem dieser Kunstform. Mit jeder neu erschienen Plattform (vom PC über die Spielkonsole bis hin zur Smart Watch) entstehen neue Demo-Programmierkulturen. Damit erweist sich sowohl der Gegenstand Computerdemo als auch die Protagonisten der Demo-Szenen als ideales Motiv für eine wissenschaftliche Erforschung. Nur, in welcher Disziplin und mit welchen Methoden sollte eine Erforschung von Computerdemos stattfinden? Doreen Hartmann schlägt in ihrer im vergangenen Jahr im Kadmos-Verlag erschienen Dissertation Digital Art Natives eine kunstsoziologische Untersuchung vor, um den Praktiken, Artefakten und Strukturen der Computer-Demoszene (so der Untertitel) auf die Spur zu kommen, obwohl sie ihre Arbeit im Fach Medienwissenschaft eingereicht hat und damit eigentlich das Medium als Technologie und Dispositiv die Methodologie vorgeben müsste. Denn vorrangig geht es der Arbeit darum, wie Wissen über und mit Computerdemos proliferiert wird. Daraus ergibt sich erst in zweiter Hinsicht die Frage nach den Ästhetiken und Wirkungen der Medieninhalte.
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Zwischen Kunstsoziologie und Medienwissenschaft
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Ein neuer Forschungsgegenstand erfordert für eine Disziplin wie die Medienwissenschaft zunächst eine genaue Begriffsbestimmung. Bei der vorliegenden Arbeit wären dies vor allem die Begriffe aus dem Untertitel. Nachdem die Autorin den Forschungsstand zu Computerdemos aufgearbeitet hat, stellt sie ihren Methodenkanon vor. Aus der Perspektive der Kunstsoziologie akzentuiert sie zunächst die Protagonisten (die Programmierer bzw. ›Scener‹) und erst in zweiter Hinsicht den Gegenstand. Dabei stellt sie diejenigen Elemente vor, die (von ›oben herab‹ betrachtet) Computerdemos als ästhetische Artefakte erscheinen lassen, entwirft eine Historiographie und Typologie derselben und lässt die Protagonisten selbst zur Definition dessen, was eine Demo ist und ausmacht, zu Wort kommen. Die Szene(n) selbst werden danach von ihr beleuchtet – und zwar in ihrer historischen Genese (angefangen bei den Hackern der 1960er Jahre am MIT) über die Homecomputer-Ära der 1970er und –80er Jahre bis zu den PC-Demoszenen der Gegenwart. Neben der geschichtlichen Entwicklung stellt sie auch die geographische Situierung (wobei der Akzent auf deutschsprachigen Demoszenen liegt) als Differenzkriterium heraus. Dass diese Szenen einen eigenen Kodex besitzen, der viel mit der Art und Weise zu tun hat, wie Demos programmiert werden sollen, und wie (und über welche Kanäle!) miteinander kommuniziert wird, hilft den Rahmen abzustecken, in welchem sich der Diskurs über die ›Scener‹ und ihre Artefakte im Folgenden aufhält.
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Die Demos selbst geraten als Kunst-Objekte im vierten Kapitel in den Fokus. Hier wird deutlich, wie wichtig Herausforderung (sowohl von anderen Demo-Codern als auch von der Maschine selbst) als Motivation für ästhetische Praktiken und Darstellungsformen ist. Aber auch der epistemologische Faktor der Demo-Programmierung, das ›Wissenwollen‹ der Programmierer und die Autonomie-(Rück-)Gewinnung über die Technologie werden hier diskutiert. Das, was bei anderen Software-Gattungen als Problem gesehen wird, ist dem Demo-Programmierer eine Tugend: die von der Technik (oder sogar von Szene-Vorgaben) gesetzten Grenzen. Diese müssen programmierend überwunden oder – so sie freiwillig gesetzt sind – voll ausgereizt werden. Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich dann mit der kunsttheoretischen und -philosophischen Einordnung der Artefakte sowie der Diskussion von Demos innerhalb eines Kunst-Kontextes (etwa von Medienkunst) und der Frage, zu welcher Kunstgattung Computerdemos denn eigentlich gehören.
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Kunst und/oder Technik?
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Doreen Hartmann ruft einen eigentümlichen Widerspruch hervor, wenn sie die Frage stellt, ob Computerdemos (überhaupt) Kunst sind. Zum einen lässt sie hierfür die Protagonisten zu Wort kommen, die offensichtlich eine langjährige Debatte über diese Frage führen. Darin tauchen beispielsweise Befürchtungen auf, von einem Kunst-Diskurs und seinen Protagonisten vereinnahmt zu werden, oder hemdsärmelige Selbstbeschreibungen, dass man als ›Scener‹ kein Künstler, sondern ein Programmierer sei. Auf der anderen Seite stellt sich die Verfasserin der Kunstauffassung Arthur C. Dantos nah, bei der ›Kunst‹ erst im Diskurs über ein Werk entsteht, also gar kein normativ definierbarer Gegenstand sein muss. Trotz dieser Öffnung des Kunstbegriffes verstrickt sich die Autorin recht schnell in eine fragwürdige Kunstdebatte, bei der sie Kriterien für das eine und das andere einander gegenüberstellt, ohne freilich eine Antwort zu finden. Einen Mehrwert für die Betrachtung oder gar eine Antwort auf die grundlegende Fragestellung besitzt eine solche Auseinandersetzung kaum.
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Mit diesem Problem hatte sich 2011 bereits Daniel Botz in seiner Monografie Kunst, Code und Maschine
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auseinandergesetzt, wo er eine minutiöse Genealogie von Computerdemos vorgestellt und die ästhetischen Faktoren derselben detailliert beschrieben hatte. Bei ihm nahmen die Beschreibung der Plattformen und die Diskussion der Programmiertechniken eine wichtige Rolle ein. Damit hatte quasi er die Kunstfrage beantwortet, ohne sie direkt gestellt zu haben. Auf Botz referenziert Hartmann häufig. Er wird, insbesondere in solchen Momenten, wo es um technische Details geht, für ihre Arbeit zu einem Kronzeugen. Es liegt nämlich im Wesen des Gegenstands Computerdemo, dass sich die technische Frage kaum vermeiden lässt. Zum einen sind Computerdemos nämlich Programme (also in Programmiersprachen formulierte Algorithmen), zum anderen wenden sie sich an eine konkrete Hardware – und dies in einem besonderen Maße, weil sie trickreich versuchen, die Möglichkeiten dieser Hardware auszuloten und zu überschreiten. Eine technische Expertise ist für die Diskussion von Computerdemos also unerlässlich. Die Autorin sieht sich recht früh dieser Problematik gegenübergestellt. Sie schreibt, ihre Arbeit »beleuchte[] anhand von Beispielen die zentralen Eigenheiten von Demos. [...] Diese Annäherung an die künstlerischen Artefakte setzt nicht [!] voraus, die Algorithmen der Demos zu studieren. [...] Schließlich fordert man von einem Kunstkritiker auch nicht, dass er selbst malen kann.« (S. 24 FN) Der Vergleich wirkt schief: Geht es zwar bei der Kunstkritik tatsächlich nicht darum, ein Bild selbst malen zu können, so wird man von einem Kunstkritiker durchaus erwarten können, dass er sich mit materiellen Eigenheiten, die das Sosein des Kunstwerkes präformieren (Papier, Leinwand, Öl- und Aquarellfarbe usw.) auskennt. Die alleinige ›Oberflächenbetrachtung‹ eines Gemäldes verschenkt insbesondere Erkenntnisse über all das, was nicht im ›Inhalt‹ zu finden ist, aber dennoch dazugehört. Von einer in der Medienwissenschaft situierten Arbeit sollte daher auch die kenntnisreiche Auseinandersetzung mit dem medientechnischen Dispositiv erwartet werden können.
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Die Autorin problematisiert ihr Verhältnis zum technischen Wesen ihres Gegenstandes mehrfach: »Welches Theorie- und Methodenset also erfordert eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Praktiken und Artefakten der Demoszene?« (S. 23, Hervorh. S. H.), fragt Hartmann und wird ihrer obigen Einschätzung, dass Code-Kenntnis nicht notwendig sei, noch mehrfach widersprechen, wenn sie etwa später an Auseinandersetzungen der Sekundärliteratur zum Thema moniert: »Doch obwohl die Algorithmen und Datenmengen konstitutive Komponenten in der Demo-Erstellung sind, wird ihnen in den kulturwissenschaftlichen Bestimmungen der zentralen Kriterien von Demos nur selten Betrachtung geschenkt.« (S. 53) Und obwohl sie also den analytischen Mehrwert einer Auseinandersetzung mit den Codes selbst anerkennt (etwa auf S. 141 und S. 261), erbringt sie ihn selbst jedoch leider nicht. Als einen Grund dafür führt sie die ›Opakheit‹ des Diskurses selbst an: Trickreiche Algorithmen, mit denen bestimmte Effekte in Demo-Programmen erreicht werden, werden von ihren Programmierern wie Geheimnisse gehütet. Dort, wo sie dennoch öffentlich sind, erfordern sie allerdings eine intensive Auseinandersetzung: »ein tiefes Verständnis der Code-Ebene und der Grenzen der Hardware [kann] allenfalls Szene-intern vermutet werden.« (S. 54) – ein ideales Thema für Interviews mit Scenern also.
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Dass dies möglich ist, haben einige Autoren vor ihr gezeigt – etwa in der von Ian Bogost und Nick Montfort herausgegebenen Reihe Platform Studies, in denen vor allem historische Plattformen wie die Atari VCS
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beschrieben werden, und das sowohl ›oberflächlich‹ als auch auf den ›Unterflächen‹ von Elektronik und Programmcode. Die Autorin unternimmt indes nur selten Ausflüge in die Sphären der den Demos zugrunde liegenden Techniken. Vielleicht ist es für eine kunstsoziologische Auseinandersetzung wirklich nicht von zentraler Wichtigkeit, die Codes und Technologien, auf denen die Werke basieren und auf die sich die Handlungen der Akteure beziehen, zu kennen. Einen Mehrwert für den Diskurs könnte man sich – auch gerade angesichts der wenigen Male, die Doreen Hartmann an diese Bereiche ›kratzt‹ – durchaus vorstellen.
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Demoprogrammierung und/als Spiel
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Als ein zwar eher subtiles, in der Stetigkeit, mit der es im Diskurs mitläuft, jedoch deutliches Thema der Arbeit lässt sich das ›Spiel‹ herauslesen. Computerspielen wird seit einiger Zeit als Medienhandeln diskutiert und in den Kontext von Sport, Kybernetik oder Pädagogik gesetzt. Computerspiele und Demos besitzen Gemeinsamkeiten: Wie Demos reizen auch Computerspiele die Grenzen der Hardwares aus; als Softwaregattung haben sie in den letzten zwei Jahrzehnten die Hardware-Entwicklung maßgeblich vorangetrieben. Phänomenologisch trennt Demos und Spiele jedoch ansonsten vieles – insbesondere die In(ter)aktivität der Nutzer/Rezipienten, die bei Demos gegen Null geht.
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Ein anderes, augenscheinlich wichtiges Differenzkritierium zwischen beiden Gattungen ist die Tatsache, dass Spielen stets in Echtzeit vollzogen wird, während die Rezeption von Demos oberflächlich eher der von Filmen ähnelt. Diese Zuschreibung weisen aber sowohl die Demo-Coder als auch die Veranstalter von Conventions, auf denen die Demo-Beiträge miteinander wettstreiten, weit von sich: Demos müssen ebenfalls live ausgeführt werden und ihre Ausgaben in Echtzeit generieren. Das, was sie zeigen, darf erst im Moment des Zeigens entstehen, weil sich nur so die Fähigkeit des Programmierers als Beherrschung der Maschine zeigt. Damit stehen die inaktiven Echtzeit-Demos dem »Theater« (S. 250) nahe, bei dem das Live-Moment ebenfalls konstitutiv ist, nur dass in diesem Theater die Medien die vordergründigen Protagonisten sind: »In der Demoszene wird der Computer allerdings schon immer als bedeutungstragendes Material eingesetzt, der das Werk formt, statt nur als Werkzeug gebraucht zu werden. In Abgrenzung zur Medienkunst versucht die Demoszene nämlich gerade nicht, die technische Basis zu transzendieren, sondern als gestaltgebend zu thematisieren.« (S. 166)
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Aus diesen Gründen hält Doreen Hartmann den Vergleich von Demos und Computerspielen nicht für angebracht (vgl. S. 73, S. 155). Und dennoch betont sie immer wieder, wie sehr das Programmieren von Demos von den Scenern als ›Spiel‹ verstanden wird – nur eben als ein ›Computerspielen‹ auf zweiter Ebene. Den zeiteffizientesten Algorithmus für einen Effekt zu finden, den kompaktesten Code, der einer Speicher-Begrenzung gerecht wird, zu entwerfen, überhaupt, den Computer zu einer Leistung zu bewegen, für die er eigentlich (das heißt laut offizieller Beschreibung) nicht ausgelegt ist: Dieser ›technische Streit‹ zwischen Hardware und Programmierer zieht sich als beständiges Motiv durch den kunstpraktischen Diskurs der Arbeit. Auf dem Spiel steht dabei das Wissen, das programmierend über die Technik erworben werden kann – und die Selbstermächtigung, von der die Demo-Coder sprechen und die sie als Motiv für ihr Tun angeben. Diesen (wissens)soziologischen Aspekt gibt die Arbeit von Doreen Hartman dem Leser mit auf dem Weg. Medienwissenschaftliche Forschung wird sich insbesondere in Zeiten, in denen Computer mehr denn je ›Blackboxes‹ sind, damit auseinandersetzen müssen. Dafür wird es nötig sein, sowohl die Kunst als auch den Code und den Menschen in den Blick zu nehmen.
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