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Erziehung und Bildung am Hof der Pommern

  • Dörthe Buchhester: Die Familie der Fürstin. Die herzoglichen Häuser der Pommern und Sachsen im 16. Jahrhundert: Erziehung, Bücher, Briefe. (Medieval to Early Modern Culture. Kultureller Wandel vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit 15) Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. 341 S. 8 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 64,95.
    ISBN: 978-3-6316-6083-9.
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Das vorliegende Buch ist die Greifswalder Dissertation der Autorin, die im Rahmen des DFG-Projekts »Kulturtransfer an deutschen Fürstenhöfen in der Umbruchszeit vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit« entstand. In vielfacher Hinsicht gliedert sich die Studie ein in die Greifswalder mediävistischen Forschungen, mit ihrem Fokus auf Fürstenhäuser – in diesem Fall die Pommern und die Sachsen – und dem Blick auf die Frage der Erziehung sowie die behandelten Quellen, ganz besonders Briefe. In doppelter Weise ist die Arbeit in Übergangszonen angesiedelt: zum einen in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit und zugleich disziplinär betrachtet zwischen Geschichte und Germanistik, was sich vor allem in der Behandlung von Bibliotheken und Büchern und der Bearbeitung von Korrespondenzen niederschlägt.

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Im Zentrum steht – wie die Autorin am Beispiel des Greifswalder Croӱ-Teppichs zu Beginn ausführt – das pommersche Herzogspaar Philipp I. und Maria von Sachsen, die in der Torgauer Hochzeit 1536 miteinander vermählt wurden. Die Bedeutung der Verbindung schlägt sich im Bildprogramm des Teppichs nieder, der zugleich als reformatorisches Bekenntnisbild gelesen wird. (S. 17) Über die dargestellten Personen – Mitglieder der beiden Dynastien, aber auch Gelehrte wie Luther und Melanchthon – führt der Weg in die Fragestellungen der Dissertation: Erziehung und Bildung am Hof der Pommernherzöge, und zwar jene der Töchter genauso wie jene der Söhne. Eine implizit mitschwingende Frage ist, welche besondere Rolle dabei die Reformation für die Fürstenfamilie spielte.

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Zunächst legt Buchhester Forschungsstand und theoretisch-methodische Prämissen der Arbeit dar, insbesondere Ansätze zur Lerntheorie, Bourdieus ›Kapital‹, Kulturtransfer und Kulturkontakt sowie das Lernen von anderen, Freund wie Feind gleichermaßen. Die Autorin geht ferner von zwei Perspektiven aus, die sich in einer Zweiteilung des Buches niederschlagen: Zum einen der Blick in das Innere der fürstlichen Familie am Hof, zum anderen der Kontakt nach außen, konkret der Fürstin zu ihrer Herkunftsfamilie. Die derart gewählte Zweiteilung überzeugt nicht völlig und wird von der Autorin selbst durchbrochen, wenn es um die Frage der Kontakte zu anderen Höfen geht, die auch im Kapitel zur Erziehung gestellt wird. Stimmiger bildet die Zweiteilung zwei unterschiedliche Fragestellungen ab, die an verschiedene Quellen gebunden sind: Im ersten Untersuchungsabschnitt (Kapitel B) steht auf rund 160 Seiten die Frage nach Erziehung am Hof im Zentrum, während der zweite Abschnitt (Kapitel C) auf knapp 60 Seiten den Korrespondenzen vor allem von Fürstinnen gilt.

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Für die Frage der Erziehung am Hof der Pommern betont Buchhester völlig zu Recht die enorme Rolle, welche die Schrift dabei spielt. Größte Bedeutung kommt dabei dem Erlernen von Lesen und Schreiben zu, was sich gerade in der frühen Erziehung über das Erlernen des Briefeschreibens ausdrückt. Diese erzieherische Funktion des Briefeschreibens ist jüngst von der italienischen Forschung eindrücklich bereits für das 15. Jahrhundert nachgewiesen worden. 1 Buchhester kann dies auch für die Pommernherzöge nachzeichnen und damit die zentrale Rolle der Erziehung zur Schrift herausarbeiten, die im Frauenzimmer erfolgte und der in den bislang vor allem auf die an das Frauenzimmer anschließende Erziehung der Fürstensöhne fokussierenden Darstellungen 2 noch kaum Beachtung zugekommen ist. Buchhester erklärt die geringe Verschriftlichung der Erziehung im Frauenzimmer mit dem Vorherrschen des Mündlichen und dem Nachahmen als wesentliche Methode. Über Hofordnungen gelingen Einblicke in den Tagesablauf wie die räumliche Struktur und Ausstattung, die wichtige Erkenntnisse zur Frage der Erziehung von Mädchen wie Knaben liefern.

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Schmal muss die anschließende Betrachtung der Erziehung der Fürstentöchter ausfallen, da diese sich weiterhin durch fehlende Schriftlichkeit kennzeichnet und vor allem über Korrespondenzen und Buchbesitz erschließen lässt. Das Fallbeispiel des Konflikts um die Erziehung der Georgia von Pommern liefert wertvolle Einsichten und bestätigt die wichtige Rolle, die der Mutter ebenso zukam wie dem Schreiben und Lesen.

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Ausführlich erfolgt sodann die Untersuchung der Erziehung der Fürstensöhne, wo auch die Eltern- und Großelterngeneration in den Blick genommen wird, die Vorbildwirkung von Sachsen und Heidelberg, Universitätsbesuche und schließlich Erziehungsaufenthalte. Am Memorial zum Aufenthalt Johann Wilhelms von Sachsen in Pommern, das im Anhang ediert wird, zeigt sich, dass mit dem Fürstenpaar Philipp I. und Maria von Sachsen nun auch Pommern als Hof galt, an dem junge Fürsten Erziehungsaufenthalte absolvieren konnten, auch wenn dieser eher als Hilfestellung Marias für den etwas problematischen Neffen anzusehen ist. Weitere Kapitel gelten der Bildung der Fürstin, der über bildliche Darstellungen der lesenden Herzogin und Buchbesitz nachgegangen wird. Ein abschließendes Kapitel widmet sich der Entwicklung der herzoglichen Bibliotheken der Pommern.

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Im zweiten Abschnitt stehen die Korrespondenzen im Zentrum. Unter Anwendung der Systemtheorie von Luhmann zeigt Buchhester zunächst die Funktion der Korrespondenz als Kontakt über die Distanz wieder am Beispiel Georgias von Pommern auf, die nach der Wiederverheiratung der Mutter (Margarethe von Brandenburg) von dieser getrennt und am Hof des Bruders (Philipp I.) erzogen wurde. Die Korrespondenz Marias von Sachsen mit ihrer Herkunftsfamilie zeigt dem gegenüber die starke Position der selbstbewussten und erfolgreichen Fürstin. Ein letztes Kapitel wendet sich der besonderen Bedeutung eigenhändigen Schreibens zu, wobei Maria von Sachsen offensichtlich als Fürstin erscheint, die gerne selbst zur Feder griff, auch wenn sie eigentlich nicht selbst schreiben müsste. Der Brief der (pommerschen) Fürstin erscheint, so Buchhester, vor allem als Mittel der Kommunikation innerhalb des weiteren Familienverbandes. Eine konzise Zusammenfassung der Ergebnisse, und ein Anhang mit der Edition von zwei Quellen, genealogische Tafeln zu den Ernestinern und Greifen, Verzeichnisse und ein Personenregister beschließen das Buch.

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Dörthe Buchhester hat mit dieser Studie einen wichtigen Beitrag zur Frage der Erziehung am Hof der Pommern geleistet. Umso bedauerlicher ist es, dass die Dissertation keine Überarbeitung erfahren hat. Dies zeigt sich in deutlichen Lapsus wie Verweisen auf einen Bildanhang, der im Buch durch die Platzierung der Bilder im Text ersetzt wurde oder auch darin, dass ein Teil des Fazits zu den Büchern der Herzogin offensichtlich fälschlich an das Fazit zur Erziehung der Fürstensöhne angehängt wurde. Schwerwiegender sind strukturelle Schwächen innerhalb der Arbeit, die die Betrachtung von Quellen auseinanderreißen, oft zu Wiederholungen führen und es mitunter erschweren, der Argumentation zu folgen. Besonders zeigt sich dies am Titel, der den Inhalt des Buches nur zum Teil erschließt. Im Wesentlichen geht es zwar auch um Maria von Sachsen, doch vor allem um die Frage der Erziehung und Bildung am Hof der Pommern, ausgehend vom Herzogspaar und auf den Spuren der vorherigen pommerschen Generationen. Dass Buchhester dabei ganz besonders die Fürstinnen am Herzen liegen, ist das besondere Verdienst der vorgelegten Studie.

 
 

Anmerkungen

Monica Ferrari, Isabella Lazzarini, Federico Piseri (Hg.): Autografie dell’età minore. Lettere di tre dinastie italiane tra quattrocento e cinquecento. (I libri di Viella 232) Roma: Viella 2016; Monica Ferrari: »Per non manchare in tuto del debito mio«. L’educazione dei bambini Sforza nel Quattrocento. (Storia dell’educazione 3) Milano: Angeli 2000; Isabella Lazzarini: Un dialogo fra principi. Rapporti parentali, modelli educativi e missive familiari nei carteggi quattrocenteschi (Mantova, secolo XV). In: Monica Ferrari (Hg.): Costumi educativi nelle corti europee (XIV-XVIII secolo). Pavia: Pavia University Press 2010, S. 53-76.

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Benjamin Müsegades: Fürstliche Erziehung und Ausbildung im spätmittelalterlichen Reich. (Mittelalter Forschungen 47) Ostfildern: Thorbecke 2014; Gerrit Deutschländer: Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450-1550). (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 6) Berlin: Akademie-Verlag 2012.   zurück