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Neue Einblicke in die (inter-)kulturelle Geographie des Exils: Deutsche und österreichische Schauspieler*innen auf britischen Bühnen 1933-1960.

  • Richard Dove: Foreign Parts. German and Austrian Actors on the British Stage 1933-1960. (German Literatures 15) Cambridge: Legenda 2017. 202 S. EUR (D) 85,00.
    ISBN: 978-1-781884-73-7.
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Exilforschung und interkulturelle Germanistik

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Seit Jahrzehnten gehören die Arbeiten des britischen Germanisten und Exilforschers Richard Dove zu den Marksteinen der Forschung über das deutschsprachige Exil in Großbritannien während der Jahre 1933 bis 1945 und darüber hinaus. Selbst Mitbegründer des Londoner »Research Centre for German and Austrian Exile Studies«, hat Dove als Autor und Herausgeber über die Jahre hinweg immer wieder Studien vorgelegt, die sich Autorinnen und Autoren wie auch wichtigen Institutionen des deutschen und österreichischen Exils in Großbritannien widmen. Nicht allein als äußerst verdienstvolle Grundlagenforschungen, sondern auch als luzide Geschichts- und Geschichtenbücher bieten sie historiographisch und literarhistorisch akribisch untermauerte Einblicke in die fast immer schwierigen, vom Verlust des kulturellen und sprachlichen Umfelds und oftmals der finanziellen Lebensgrundlagen geprägten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Exilierten.

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Gleichzeitig richten sie den Blick aber auch auf die historischen und politischen Umstände und Debatten im Land des Exils, in England bzw. in Großbritannien, selbst, welche (Über-)Lebens-, Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten der Emigrant*innen grundlegend bedingen und prägen. Diese Doppelperspektive, die sich aus der Exilthematik sinnfällig ergibt und zugleich einen Grundansatz interkultureller Germanistik beispielhaft umsetzt, kennzeichnet besonders auch Doves jüngstes Buch, das sich dem Schicksal von fünf Bühnenschauspieler*innen aus Deutschland und Österreich widmet, die als Juden oder Kommunisten von den deutschsprachigen Theatern vertrieben wurden und denen im britischen Exil der schwierige Übergang von der deutschen auf die englischsprachige Bühne gelang.

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Lucie Mannheim, Gerhard Hinze, Friedrich Valk und Lilly Kann aus Deutschland und Martin Miller aus Österreich kamen vor dem Hintergrund einer bereits erfolgreichen deutschsprachigen Theaterkarriere nach England; Lucie Mannheim, »one of the first refugee actors to arrive in London« (S. 4), schon 1934, die übrigen erst in den Jahren 1938 bis 1939. Für alle war Großbritannien nicht das Zufluchtsland der Wahl (wenn man von einem solchen überhaupt sprechen kann), vielmehr kamen sie erst über andere Stationen nach England, über Österreich, die Schweiz und die Tschechoslowakei, wo sie (im letztgenannten existierten mehrere deutschsprachige Bühnen) nach der Flucht zunächst ihre Arbeit ohne Sprachbarrieren hatten fortsetzen können.

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Nach der Annexion Österreichs, der Besetzung des Sudetenlandes und dem Einmarsch der deutschen Truppen in Böhmen und Mähren wurde England zur »default destination« (ebd.): Unter den rund 78.000 Emigrant*innen aus dem deutschsprachigen Raum, die sich bei Kriegsbeginn hier aufhalten, sind 400 Kunstschaffende aller Richtungen, darunter auch viele Schauspieler*innen. Zumal für jene, die erst 1938/39 in Großbritannien eintreffen, gilt: »Although they had established solid and successful careers in the German-speaking theatre before 1933, they were unknown outside it. Few of them spoke English, none spoke it to the level required for professional performance [...]«(S. 5) – für die Theaterarbeit auf der Bühne ein Ausschlusskriterium. Es sind nicht viele, »probably fewer than thirty« (ebd.), die den Übergang auf die englischsprachige Bühne schaffen.

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Jene fünf, deren Geschichten Doves Studie nachgeht, gehören dazu. Die Tatsache, dass sie – im Unterschied etwa zu international berühmt gewordenen Namen wie Lilli Palmer, Herbert Lom, Anton Walbrook oder Fritz Kortner – als exilierte Schauspieler*innen bislang in der Forschung nur wenig Erwähnung gefunden haben, hängt nicht damit zusammen, dass sie etwa nach der Emigration ein künstlerisches Schattendasein geführt, sich als Geflüchtete lediglich am Rand der englischen Theaterkultur bewegt hätten. Es ist vielmehr ihre Konzentration auf die Bühne, nicht auf den Film, die hier die entscheidende Rolle spielt. Während Filme als Dokumente bleibend sind und als Kunstwerke weite Verbreitung finden können, ist jede Theateraufführung und –inszenierung ephemer, die Forschung über sie und die an ihr Beteiligten auf den Widerhall angewiesen, den sie in Theaterzetteln und Programmen sowie in den (selbstverständlich von individueller Sicht und Rekursen auf den Zeitgeschmack geprägten) Rezensionen findet.

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Für die in Doves Studie behandelten Theaterschauspieler*innen ergibt sich daraus die fast kuriose Diskrepanz, dass sie, die oftmals mit kleineren Filmrollen ihre englische Schauspielkarriere begonnen und damit auch weiterhin ihren Lebensunterhalt mitbestritten haben, als (mehr oder weniger marginale) Filmfiguren bekannt, als bedeutende Theaterschauspieler*innen jedoch weitgehend vergessen sind (vgl. S. 5). Sie als solche in den Fokus zu rücken, bedeutet nicht nur einen verdienstvollen Beitrag zur weiteren Erforschung des Exils deutschsprachiger Künstler*innen während der Jahre des deutschen Faschismus, sondern, wie der Autor betont, auch die Aufarbeitung eines »small, but significant part of British theatre history«, innerhalb derer die genannten Schauspieler*innen gerade als Exilierte, die aus einer anderen als der britischen Theaterkultur an die englischsprachige Bühne kommen, eine Rolle spielen (S. 6). Neben der Fülle an Details, die hier aufgearbeitet werden, macht gerade dieses doppelte Augenmerk Doves Studie als Beitrag zur Exilforschung wie auch zu einer interkulturellen, historisch arbeitenden Germanistik besonders verdienstvoll.

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Individuelle Schicksale im Kontext deutscher und englischer Theaterkultur

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Liegt der Fokus der Studie also vor allem auf den individuellen Schicksalen und (Berufs-)Biographien von fünf Einzelpersonen 1 , so erhellt deren detaillierter Verfolg doch zugleich einen größeren Kontext, gibt weitreichende und detaillierte, zum Teil auch erstaunliche Einblicke in die englische wie in die deutsche Theaterkultur, zwischen denen zwar ausdrücklich kein Vergleich angestrebt ist, die aber als Voraussetzungen für die Adaption auf der deutschen Bühne sozialisierter Emigrant*innen an die teils sehr anderen Bedingungen der englischen Theaterlandschaft selbstverständlich eine wichtige Rolle spielen.

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Die beiden ersten Kapitel des ersten, »A Tale of Two Cities: London and Berlin«, überschriebenen Teils der Studie widmen sich dementsprechend dem »London Theatre in the 1930s« und der »German Stage in the 1920s and 1930s«, letzteres unter dem Obertitel »Weimar – Before and After«, den katastrophalen Bruch umfassend, der mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und der auf sie folgenden Zerschlagung (auch) des kulturellen Lebens der Weimarer Republik einherging. Dem parallelen Blick auf Deutschland einerseits und auf England andererseits folgend, werden die beiden Kapitel zur jeweiligen Theaterkultur einleitend direkt miteinander verzahnt – ein Beispiel dafür, mit welchem Bedacht die Forschungsergebnisse auch formal präsentiert werden. Die Darstellung der Londoner Theaterlandschaft der 1930er Jahre wird eröffnet mit dem »Monday, 30 January 1933, when Adolf Hitler was appointed Reich Chancellor« (S. 9), um diesem »fateful day in German […] and world history« kontrastierend die (auch inhaltliche) Gleichmut einer Londoner West-End-Theaterszene gegenüberzustellen, die sich als »conservative, class-bound, and insular«präsentiert, »its repertoire consisting largely of drawing-room comedies, thrillers, and musical revues« (ebd.).

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Umgekehrt beginnt der Blick auf die deutschsprachige Bühne der Weimarer Republik mit dem Hinweis auf den prominenten englischen Schauspieler und Bühnenbildner Edward Gordon Craig, »who had great influence in Germany before the First World War, helping the German theatre to abandon stage realism in favour of a more abstract, symbolic style« (S. 10) – ein kurz vor der hier in den Blick genommenen Zeitspanne virulentes Beispiel also für die Fruchtbarkeit interkulturellen Austauschs im Theater, der daran Teil hatte, dass Deutschland während der 1920er Jahre weltweit führend »in theatrical innovation and experiment« werden konnte (S. 14). Das legt natürlich schon hier die Frage nahe, ob mit der Integration von auf deutschen Bühnen dieser Qualität sozialisierten Schauspieler*innen nun wiederum auch im englischen Theater ein vergleichbarer Prozess interkultureller Inspiration in Gang gesetzt werden wird – und ob, wie man zumindest aus späterer Perspektive fragen darf, dem erzwungenen Exil mitsamt dem damit einhergehenden individuellen Leid immerhin in dieser kulturellen Hinsicht vielleicht auch positive Aspekte abgewonnen werden können. Einige Kritikerstimmen werden das etwas später mindestens für das englische Theater bejahen (s.u.).

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Interessant ist die vergleichende Darstellung auch hinsichtlich einiger ganz praktisch-institutioneller Unterschiede zwischen englischer und deutscher Theaterkultur. So hing, wie Richard Dove im entsprechenden Kapitel darlegt, im (dominierenden) Londoner West End Theatre jener Jahre die Auswahl der aufgeführten Stücke allein von kommerziellen Gesichtspunkten ab, was selbstverständlich keine gute Voraussetzung für Experiment und Innovation auf der Bühne darstellt, zumal auch die Verträge der Schauspieler*innen meist lediglich für ein Stück und seine (vom Zuspruch des Publikums abhängende) Laufzeit galten (vgl. S. 16). Die deutschsprachige Theaterlandschaft der Weimarer Republik bot ein entschieden vielfältigeres Bild, mit einem Netzwerk kommunaler Theater, festen Ensembles und Einkommensstandards, die von der bereits 1871 gegründeten Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) ausgehandelt wurden (ebd.). Diejenigen, die nach der nationalsozialistischen Gleichschaltung von Repertoire und Personal der deutschen (und, wenig später, der deutschsprachigen) Bühnen ins Ausland fliehen mussten, verloren diese bislang gewohnte berufliche Sicherheit und mussten sich, neben der Umstellung auf eine fremde Sprache – zweifellos das gravierendste Problem für Bühnenkünstler*innen –, auch an diese andere Theaterkultur anzupassen versuchen. Hinzu kam ein gänzlich verschiedener Aufführungs- und Darstellungsstil:

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[T]he typical English style of acting was low-key and understated, in which the actor sought to deliver lines with a minimum of emotion. The suppression of emotion and temperament contrasted strongly with the prevailing acting style in Germany which was more emotional, even visceral, attempting to portray the character from the inside. (S. 13)
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Lucie Mannheim, Gerhard Hinze, Friedrich Valk, Lilly Kann, Martin Millers

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Vor dem Hintergrund dieses hochinformativen Überblicks entfalten sich in den folgenden Kapiteln die Lebens- und beruflichen Wege der fünf Protagonist*innen des Buches. Auf ein Einleitungskapitel, sinnfällig »Setting the Scene« überschrieben, und dem Überblick über die jeweiligen Theaterbedingungen unter dem Obertitel »Act I«, folgen als »Act II« unter der Überschrift »Getting Out 1933–1939« die Herkunfts- und Fluchtgeschichten der fünf hier im Zentrum stehenden Schauspieler*innen von der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst bis zum Beginn des Krieges, der für alle einen gravierenden Einschnitt markiert, da mit ihm aus Emigrant*innen potentielle »enemy aliens« wurden. Spätere Kapitel verfolgen dann, wieder jeweils fokussiert auf eine Person, unter dem Obertitel »Act III« die Zeitspanne von 1939 bis 1945 (»Enemy Aliens on the British Stage«; S. 55-106) und, unter dem Obertitel »Act IV«, die Jahre nach dem Krieg bis zum Tod der jeweiligen Schauspielerpersönlichkeit (»Five Actors in Search of a Stage«; S. 119-171). Diese Gliederung nicht im Sinne einer Gesamtdarstellung jeder einzelnen Person und ihres Weges über die ganze im Buch verhandelte Zeitspanne hinweg, sondern nach politisch-chronologischen Phasen, die bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Schicksale alle fünf Personen gleichermaßen betreffen, ermöglicht sowohl eine Zusammensicht als auch Vergleich und Kontrastierung, was der Rezeption der von hier an äußerst detailreichen Darstellung unbedingt zugutekommt.

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Tatsächlich sind bereits Herkunft (auch: Bühnenherkunft) und biographische Voraussetzungen der fünf Künstler*innen denkbar unterschiedlich, der Rückblick darauf zugleich ein beeindruckender Erweis der Vielfalt der deutschsprachigen Theaterkultur in der Zeit der Weimarer Republik. So kommt etwa Lucie Mannheim 1934 als bereits etablierte Theatergröße vom Preußischen Staatstheater, wo sie in diversen Hauptrollen und an der Seite berühmter Schauspieler wie Fritz Kortner, Werner Krauss, Albert Bassermann oder Oskar Homolka aufgetreten ist, nach London und bringt auch schon Erfahrungen im Stumm- wie im Tonfilm mit (vgl. S. 23). Ihr Bühnendebut am Londoner Criterion Theatre in der Titelrolle von Bruno Franks Nina im Jahr 1935 wird zu einem solchen Erfolg, dass sie in der Presse gar als »Hitler´s new gift for Britain« gefeiert wird – was auch einen Umschwung in der öffentlichen Wahrnehmung von geflüchteten Künstler*innen auf der englischen Bühne markiert (S. 25).

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Doch zeigen sich ihr bald auch die Unterschiede zwischen der deutschen und der englischen Theaterkultur: Die Inszenierung von Ibsens Puppenhaus im Duke of York´s Theatre mit Mannheim in der Rolle der Nora, mit der die Schauspielerin an ihre vergangenen Bühnenerfolge in Deutschland anzuknüpfen hofft, muss wegen mangelnder Einnahmen bereits nach dreiundvierzig Aufführungen aus dem Programm genommen werden (S. 30), da sie sich für die kommerziellen Notwendigkeiten des Theaters nicht rechnet. Gerade nach ihrem ersten großen Erfolg in der Starrolle der Nina wird es für Lucie Mannheim nicht zuletzt auch ihres deutschen Akzents wegen schwierig, weitere Rollen auf ähnlichem Niveau für sich zu finden. Während des Krieges wird sich die »Diva« (S. 23) Mannheim vom Theater weg- und dem Radio zuwenden und sich, neben Rollen im Rundfunkdrama, insbesondere im German Service der BBC engagieren, eine Tätigkeit, bei der nicht zuletzt auch ihre Prominenz im deutschen Publikum eine wichtige Rolle spielt.

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Obgleich Lucie Mannheim in den ersten Nachkriegsjahren, oftmals an der Seite ihres Ehemanns Marius Goring, wieder beträchtliche Erfolge auf Londoner Bühnen feiern kann, orientiert sie sich doch zunehmend wieder zurück auf die (west-)deutsche Bühne und pendelt einige Jahre nicht nur zwischen zwei Ländern, sondern auch zwischen zwei Aufführungssprachen hin und her. 1974 übersiedelt sie, mittlerweile auch an hochkarätigen Fernsehproduktionen beteiligt, ganz in die Bundesrepublik, wo sie 1976 stirbt (vgl. S. 171).

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Gerhard Hinze, der vor seiner Flucht nach England eine bescheidene Theaterkarriere an verschiedenen deutschen Bühnen verfolgt und als Widerstandsaktivist der Kommunistischen Partei Gefangenschaft und schwere Folter sowie eine Haftzeit im Konzentrationslager Oranienburg überlebt hatte, floh über Prag zunächst nach Zürich, dann in die Sowjetunion, wo er am von Erwin Piscator mitbegründeten Kolkhoz Theater in Dnepropetrovsk mitwirkte. Nach den ersten Stalinistischen Schauprozessen kann er nach einigen Komplikationen schließlich in England einreisen (S. 37). Zu diesem Zeitpunkt ist er vierunddreißig Jahre alt; »he was to spend the remaining thirty-four years of his life there, establishing a successful career in British theatre and film« (S. 61). Der Weg dahin ist alles andere als eben: Er führt über Deportation und Internierung in Kanada nach der Rückkehr auch über die (auch schauspielerische) Mitarbeit in der »Free German League of Culture« und am »Austrian Centre«, beides wichtige Anknüpfungspunkte für viele Schauspieler*innen, um eine Bühnenarbeit im Londoner Exil vor dem Erwerb ausreichender Sprachkenntnisse zunächst in der eigenen Sprache fortsetzen zu können. 1942 erst folgt – in der Rolle des polnischen RAF-Piloten Count Skriczevinsky, in die sowohl Hinzes politischer Impetus als auch sein immer noch gebrochenes Englisch als künstlerische Attribute erfolgreich mit eingehen können – der Durchbruch auf der Londoner Bühne. Ihr, wie auch dem britischen Film, wird Hinze nach Kriegsende unter dem Künstlernamen Gerard Heinz und seit 1948 mit britischer Staatsangehörigkeit treu bleiben.

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Ganz anders als Gerhard Hinze, der Nazi-Deutschland aus politischen Gründen hatte verlassen müssen, gehört Friedrich Valk als Jude zu den rassisch Verfolgten des Nazi-Regimes. Als er 1933 mit einem Engagement des Neuen Deutschen Theaters nach Prag übersiedelt, ist er ein bekannter Schauspieler, dessen Name insbesondere mit Shakespeare- und »Faust«-Inszenierungen verknüpft ist (vgl. S. 39). Bereits in Prag, das seit 1935 zum »main centre of anti-Nazi restistance ouside Germany« geworden war (S. 41), wird Valk zur wichtigen politischen Integrationsfigur. Er übernimmt die Präsidentschaft des »Deutsch-Tschechischen Bühnenklubs«, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, jedem weiteren Vordringen des Faschismus im Bereich der Kultur entgegenzuwirken, und er arbeitet, wie etliche andere Flüchtlinge, im Bereich der deutschsprachigen Propagandasendungen, die Radio Prag – ein Faktum, das in Erinnerung zu rufen eine Art Nebenverdienst von Doves Studie ist – seit August 1936, zwei Jahre also vor Einrichtung des German Service der BBC, auszusenden beginnt (vgl. ebd.). Drei Wochen vor dem Einmarsch der Deutschen verlässt Valk Prag in Richtung London, wo er am ersten öffentlichen Treffen der »Free German League of Culture« teilnimmt. Schon drei Monate später spielt er mit Erfolg seine erste englischsprachige Rolle als Ottokar Brandt in Sidney Howards Foreign Corn, 1940 ist er in der ersten Filmrolle in Carol Reed´s Night Train to Munich zu sehen. Wegen des tschechischen Passes nicht als »enemy alien« registriert, kann Valk seine Bühnenpräsenz auch nach Kriegsbeginn aufrechterhalten und findet mit den Hauptrollen in Othello und The Merchant of Venice unter der Regie von Tyrone Guthrie im renommierten Old Vic jene Rollen, mit denen sein Name als Shakespeare-Schauspieler auch in England untrennbar verbunden bleiben wird.

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Zugleich kristallisiert sich in diesen Rollen, mit denen Valk die größten Erfolge feiert, auch die Ambivalenz seines englischen Bühnendaseins, indem sie als Hauptcharaktere zugleich prominent gesellschaftliche Außenseiter verkörpern – eine Rolle, auf die Valk als Exilant aufgrund seines ausländischen Akzents im Shakespeare-Repertoire der englischen Bühnen festgelegt bleiben wird (vgl. S. 177). Obgleich Valk trotz seiner fast ungebrochen erfolgreichen Theater- und Filmkarriere in England eine Rückkehr nach Deutschland geplant und 1946 einen Vertrag mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus angenommen hat, ändert er sein Vorhaben zuletzt. »[A]s a Jew, he felt emotionally unable to go back to a country which had systematically planned the extermination of European Jewry« (S. 133). Bis zu seinem plötzlichen Tod infolge eines Schlaganfalls im Juli 1953 bleibt Valk mit dem ihm eigenen expressiven Stil und der besonderen Ausstrahlung seiner Darstellung eine herausragende Erscheinung auf der Londoner Bühne, gefeiert als »the great actor Frederick Valk« (James Agate) oder gar »the best actor in England« (Kenneth Tynan) (S. 142). Gerade im Kontrast zu dieser Präsenz macht es betroffen, zeigt aber auch ein weiteres Mal das große Verdienst der vorliegenden Studie, dass, wie es am Ende des Kapitels über ihn hießt, trotz »this lavish recognition of the power and passion of his acting, Valk is now virtually forgotten, remebered, if at all, only for his film roles« (ebd.).

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Auch für die Jüdin Lilly Kann bedeutet die Machtübernahme der Nazis 1933 ein abruptes Ende einer erfolgreichen, schon vierundzwanzig Jahre währenden Bühnenkarriere in verschiedenen Theatern, zuletzt am Neuen Schauspielhaus in Königsberg. Gleichwohl wird sie Deutschland erst 1939 verlassen, um ihrer Tochter, die sie mit einem der Kindertransporte vorausgeschickt hatte, nach England zu folgen. Bis dahin, über sechs Jahre also und während immer mehr Kolleg*innen und die größten Teile des jüdischen Publikums in die Emigration gehen, bleibt Kann als Schauspielerin beim »Deutschen Kulturbund« (KuBu) in Berlin tätig, der einzigen professionellen Bühne, die jüdischen Künstler*innen wie auch einem jüdischen Publikum nach 1933 noch offenstand. 2 Die Flucht nach England gelingt Kann im letzten Moment vor Beginn des Krieges, es erwarten die bereits Fünfundvierzigjährige Jahre unsicherer Lebens- und Einkommensverhältnisse, die von Sprachproblemen weiter verschärft werden. Erst sechs Monate nach ihrer Ankunft in England steht sie zum ersten Mal in einer deutschsprachigen Produktion des »Freien deutschen Kulturbunds« auf der Bühne, kurz darauf wechselt sie durch Vermittlung des Kollegen Martin Miller ans österreichische »Laterndl« (vgl. ebd.), arbeitet ab 1940 außerdem für die Propaganda-Abteilung der BBC. Kanns Entrée am englischsprachigen Theater erfolgt erst 1942 als Bessie Berger in Clifford Odets´ Awake and Sing, wiederum an der Seite des ehemaligen Kollegen Martin Miller, eine unverhoffte Chance in einer großen, ihr wie auf den Leib geschnittenen Rolle, die ihr den ersten Erfolg beschert, dem eine wechselhafte Präsenz auf der englischsprachigen Bühne wie auch im englischsprachigen Film folgt. Trotz eines Angebots von Fritz Kortner im Jahr 1950 wird Kann nicht nach Deutschland zurückkehren und stirbt 1973 in London (vgl. S. 164).

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Mehrfach kreuzt sich der berufliche Weg Lilly Kanns mit dem Martin Millers, des fünften Protagonisten von Doves Studie, beide Male im Rahmen von Institutionen, die unter den Bedingungen des Faschismus bzw. des Exils vorübergehend ein jüdisches respektive österreichisches Theaterleben fortzusetzen erlauben: einerseits der Berliner »Kulturbund«, andererseits das »Laterndl« in London. Während freilich Lilly Kann ganze sechs Jahre am Berliner »Kulturbund« blieb, waren es für den als Rudolf Müller in Kremsier geborenen Martin Miller nur knappe sechs Monate. Berlin ist seine letzte Station auf dem Kontinent und schließt eine Schauspielkarriere in mehreren kleineren Theatern u.a. in Wien, Lodz, Reichenberg, Aussig und Straßburg ab. Mit Hilfe der Quäker im März 1939 in London eingetroffen, gelingt Miller, der zu dem Zeitpunkt noch über keinerlei Sprachkenntnisse verfügt, am »Laterndl« ein überraschend schneller und erfolgreicher neuer Bühnenstart. Denn das »Laterndl«, obgleich dezidiert auf österreichisches Cabarett spezialisiert, findet erstaunlich breite Resonanz in der englischen Presse und Theaterkritik. So weit geht die Zustimmung zu diesem Beispiel der Wiener Theaterkultur in London, dass im Sommer 1939 im Spectator zu lesen ist: »We should be grateful to Herr Hitler for the Lantern. Austria´s loss has been our gain« (S. 90). Ein kurioses, gleichwohl vielsagendes Detail ist es, dass der österreichische Flüchtling Martin Miller, der bald auch die Leitung des »Laterndl« übernimmt, ausgerechnet mit seiner gekonnt satirischen Verkörperung Adolf Hitlers im Sketch Der Führer spricht eine erste größere Bekanntheit erlangt, die sich bei den Propagandasendungen der BBC fortsetzt (vgl. S. 91). Ein weiteres Mal kreuzt sich Millers Weg an entscheidender Stelle mit dem Lilly Kanns in der erwähnten Inszenierung von Odets´ Awake an Sing im Jahr 1942 am Arts Theatre, wo er den Vater der von Kann verkörperten Bessie verkörpert – für beide ein großer Erfolg, für Miller jedoch auch der Durchbruch in der Londoner Theaterszene, dem bald, neben der fortgesetzten Arbeit für den German und den Austrian Service der BBC, der Eintritt und eine ununterbrochene Tätigkeit im britischen Film bis hin zu seinem Tod im Jahr 1969 folgt. »Although Miller acted again in Germany, he never returned to the Austrian theatre and refused even to re-visit Vienna, which had once been the scene of his earliest stage performance, but which now held too many bitter memories« (S. 155).

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Fazit

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Wenn mit dem letzten Kapitel von Doves Studie der »Final Curtain« (S. 176) fällt, sind nicht nur die weniger auf das Theater spezialisierte Leser*innen um ein Fülle von Informationen und akribisch recherchierten Details über die hier im Fokus stehenden Theaterpersönlichkeiten, sondern um ebenso viele neue Einblicke in eine trotz Krieg und Nachkriegszeit reiche und lebendige Theaterlandschaft in London und darüber hinaus reicher, die sich über die Jahre hin zu einem moderneren, immer wieder auch stark politisch ausgerichteten Repertoire entwickelte. Dass während jener Jahre allerdings eine wirklich durchgreifende Veränderung des britischen Theaters insgesamt stattgefunden hätte, die gegebenenfalls auch noch auf einen Einfluss der aus deutschsprachigen Ländern emigrierten Schauspieler*innen zurückzuführen sei, verneint die Studie freilich. »In general, actors have no influence on the theatre system or the production values it represents. In the case of émigré actors, they were best able to pursue their careers by fitting in, adapting to the system, not changing it« (S. 178).

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Gleichwohl ist die Offenheit, mit der sowohl Theaterregisseure als auch die Theaterkritik die exilierten Künstler*innen aufnahmen, ihre Stärken hervorhob und gar enthusiastisch feierte und ihnen trotz der sprachlichen Schwierigkeiten ermöglichte, ihren Platz in der englischen Theaterlandschaft zu finden und eine erfolgreiche Laufbahn zu verfolgen, mehr als bemerkenswert. Dies vor allem vor dem Hintergrund des verständlichen antideutschen Ressentiments nicht nur während des Krieges, sondern auch nach seinem Ende, als mit den Nürnberger Prozessen das grauenhafte Ausmaß der Naziverbrechen erst vollständig bekannt wurde (vgl. S. 177). Es ist ein sympathisches und durchaus überzeugendes Understatement des britischen Wissenschaftlers, dies lediglich damit zu kommentieren, dass »British audiences had the good sense to accept them [die hier dargestellten Schauspiler*innen] as actors – and judge their stage performance on ist own merits« (ebd.).

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Denn abgesehen von der Tatsache, dass die Geschichte von Lucie Mannheim, Gerhard Hinze, Friedrich Valk, Lilly Kann und Martin Miller ein weiteres Mal das (auch künstlerische) Ausmaß des von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik verursachten Exodus in Erinnerung ruft, drängt sich angesichts gegenwärtiger Entwicklungen die Frage auf, ob geflüchtete Künstler*innen hierzulande ähnliche Chancen erhielten, ob sie mit ähnlichem Interesse von Publikum und Kritik und mit einer Rezeption würden rechnen können, die sie nicht auf ihren Status als Flüchtlinge, Asylanten und Ausländer*innen reduziert. Auch dafür ist dieser großartigen Studie Dank zu sagen.

 
 

Anmerkungen

Die Anzahl von fünf übrigens schon früher bewährt in Doves Buch Journey of No Return: Five German-speaking Literary Exiles in Britain, 1933-45. London: Libris 2000. Im hiesigen Theaterzusammenhang ist die Zahl freilich noch in anderer Weise sinnfällig, dazu unten.    zurück
Der Geschichte dieser einzigartigen und hochambivalenten jüdischen Einrichtung während der Zeit des deutschen Faschismus widmet sich in jüngerer Zeit auch Rebecca Rovit: The Jewish Kulturbund Theatre Company in Nazi Germany. Iowa City 2012.    zurück