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Die „fließenden Welten“ der Liebessemantik

  • Takemitsu Morikawa: Liebessemantik und Sozialstruktur. Transformationen in Japan von 1600 bis 1920. (Kulturen der Gesellschaft 13) Bielefeld: transcript 2015. 320 S. Kartoniert. EUR (D) 32,99.
    ISBN: 978-3-8376-2832-6.
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Liebesdiskurse unterschiedlicher Zeiten und Formen spielen in der japanologischen Forschung schon seit geraumer Zeit eine bedeutende Rolle. Nicht immer war die literaturgeschichtliche Situierung dabei adäquat – wenn etwa die erste vollständige Übertragung des Klassikers »Die Erzählung vom Prinzen Genji« (Genji monogatari, Anfang des 11. Jahrhunderts), die der Japanologe Oscar Benl 1966 bei Manesse veröffentlichte, mit dem modernen Untertitel »Altjapanischer Liebesroman« versehen wurde, trägt die Verengung auf das Motiv nicht zu einer differenzierten Rezeption bei. Dessen ungeachtet war es vor allem dieser Roman, später auch andere Werke aus dem Milieu des Hofadels zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert, die zu einer intensiven Beschäftigung mit Liebescodes und ihrer kulturellen Einbettung geführt haben. 1

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Ein zweiter Schwerpunkt der Forschung waren und sind Liebesdiskurse im frühneuzeitlichen Japan (sogenannte Edo-Zeit, Anfang des 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts), insbesondere im Umfeld der sogenannten Vergnügungsviertel. Neben Subgenres wie den kôshokumono (»Geschichten von sinnlicher Liebe«), weiterhin den verschiedenen Formen des Theaters, die sich gerne dem gemeinsamen Freitod unglücklich verbundener Liebender widmeten (sogenanntes shinjû-Motiv), sind hier nicht zuletzt die Briefe zu nennen, die als semiliterarisches Medium sowohl innerhalb der Literatur als auch – in wechselseitiger Beeinflussung – in der Realität eine entscheidende Rolle für die Herausbildung einer zeittypischen Liebessemantik spielen. 2

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Wo nun ist das vorliegende Werk einzuordnen? Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Verfasser selbst keinen Anschluss an derartige Diskurse intendiert – ja bereits als Teil der »Danksagung« (S. 8) vor dem Missverständnis einer literaturwissenschaftlich-japanologischen Arbeit explizit warnt. 3 Er ist von Haus aus Soziologe, wurde einschlägig 2001 in Kassel promoviert und hat sich 2010 im Fach »Kultursoziologie« an der Universität Luzern habilitiert. Der Verfasser wird von einem theoretisch-soziologischen Interesse geleitet. Die Intention seiner Arbeit ist es, »die Semantik des Kommunikationsmittels ›Liebe‹ in Japan zu ermitteln […] und in ihrem Wandel im Übergang von stratifikatorischer zu funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung […] zu verfolgen« (S. 11). Er folgt dabei vornehmlich dem Vorbild von Luhmanns Liebe als Passion (1982), dessen Lektüre ihn »spontan« (S. 12) zum vorliegenden Projekt inspiriert hat. Als theoretischer Versuch leitet ihn die Erprobung, »wie japanbezogene […] Texte theoretisch gedeutet werden können«, nicht das Interesse an den historischen Verhältnisse selbst, die sie widerspiegeln. Sein finales Anliegen ist es schließlich, anhand einer Analyse der historischen Liebessemantik Aussagen, zum Teil kritischer Art (»Fehlgeburt« der modernen Liebe, S. 211), über gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu treffen – nicht jedoch, einen Beitrag zur Literatur- oder Geistesgeschichte Japans zu leisten.

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Allerdings wählt er, ähnlich wie Luhmann, fast ausschließlich literarische Quellen, mit denen er sein Anliegen zu realisieren versucht. An dieser Stelle nun setzt das japanologisch-literaturwissenschaftliche Interesse an der Arbeit an: zum einen der neugierige Blick auf Phänomene oder Perspektiven, die in der eigenen Forschungstradition bislang nicht oder nicht auf diese Weise angegangen wurden, etwa Fragen des Plots oder einzelner Motive. Zum anderen der kritische Blick auf die Voraussetzungen, d.h. welche Quellen auf welche Weise als Basis der theoretisch-analytischen Schlussfolgerungen herangezogen werden – damit einhergehend indirekt die Frage nach der Basis des gesamten Unterfangens.

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Der theoretische Einstieg (Kapitel 1, ursprünglich 2014 als Einleitung zu einem vom Verfasser herausgegebenen Sammelband erschienen) 4 besteht aus einer ausführlichen Diskussion des Luhmannschen Modells, für die zunächst weniger das anstiftende Basiswerk Liebe als Passion, denn die Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (Gesellschaftsstruktur und Semantik, 1980, 1981, 1984, 1995) und Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie (1984) die Folie des Nachvollzugs bilden. Besonders interessiert den Verfasser vor dem Hintergrund der in den folgenden Kapiteln behandelten Phänomene die Lebenswelt als Verbindung einer Differenzierungstypologie mit Entwicklungen von Kommunikationstechnologien. Luhmann hatte dabei insbesondere den Buchdruck und, entsprechend versetzt, die Entwicklung eines Buchmarktes vor Augen. Mediale Fragen im engeren Sinne (vgl. die Arbeiten von Michael Giesecke – der sich als Medienhistoriker ebenfalls mit dem frühneuzeitlichen Japan auseinandergesetzt hat) finden dabei, dem Primat der sprachlichen Kommunikation folgend, kaum Berücksichtigung. Auch hier ließe sich der Vorbehalt anbringen, dass das theoretisch wiederholt behauptete Wechselspiel von gesellschaftlicher Semantik (Kultur) und sozialer Praxis eindeutig zu Gunsten ersterer verfolgt wird. Abgeschlossen wird das Kapitel durch einen längeren Nachvollzug der Luhmannschen »Evolution der Liebessemantik« vor dem Hintergrund der (historisch: europäischen) Gesellschaftsdifferenzierung; ein Höhepunkt ist dabei die romantische Entdeckung der Liebe als Modus der Selbstreferenz. Eine theoretische Vorab-Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung auf die japanischen Verhältnisse, der Inhalt der nachfolgenden Kapitel, findet sich hingegen nicht.

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Kapitel 2 gibt einen Überblick über den soziokulturellen Kontext, insbesondere den Buchmarkt des frühneuzeitlichen Japans. Der Verfasser widmet sich dann den ersten Fallbeispielen aus eben dieser Periode, einer Analyse zweier unterschiedlicher Phasen (Kapitel 3 und 4), um in Kapitel 5 als weiteres Fallbeispiel den Wandel der Liebessemantik in der Phase der Modernisierung Japans im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert nachzuvollziehen. Der Verfasser identifiziert für jede der drei Phasen einen oder mehrere semantische Schlüsselbegriffe, die er in der Folge auf literarische Beispiele der jeweiligen Zeit anwendet. Die Wahl der Begriffe wie der Einbezug der Quellen werden dabei unterschiedlich gehandhabt, auf die methodischen Probleme, die sich daraus ergeben, ist im Folgenden noch einmal ausführlicher einzugehen. Die Kapitel sind, mit Ausnahme des Kapitels 4, bereits publiziert worden.

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Der Umfang der angeführten und ausgewerteten Literatur ist beachtlich. Allerdings mischen sich hier (nicht nur) für den japanologischen Blick doch recht disparate Forschungsstände und Diskurse. Dies ist insofern relevant, weil die Arbeit sich in größerem Umfang, insbesondere für die sozio- oder kulturhistorischen Kontextualisierungen, mosaikartig auf einzelne Aussagen aus der Sekundärliteratur stützt. Das führt zu einem erkennbar eklektizistischen Charakter der Arbeit: Den Anforderungen des theoretischen Rahmens folgend werden aus sehr unterschiedlichen Sekundärquellen einzelne Aspekte oder Argumente herausgegriffen und angeführt. Zudem führt der hohe theoretische Gesamtanspruch gerne zu grundsätzlichen und verallgemeinernden Behauptungen, die nicht immer durch den aktuellen Forschungsstand gestützt werden.

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Der Lektürereflex, der dabei entsteht, ist ein fortwährendes »ja, aber« – ja, es ist richtig, dass die Gesellschaft der Frühen Neuzeit nicht in gleicher Weise durch eine Zentralinstanz bestimmt ist, wie wir das zum Beispiel in der Moderne vorfinden, das aber hat zunächst nichts mit dem Status des Kaisers als legitimem Herrscher zu tun (S. 211) – das Kaiserhaus war seit Jahrhunderten kein Teil konkreter Machtdiskurse mehr. Und auch die damit zusammen hängende Behauptung, ein vormals unantastbares hierarchisches Verständnis des Staates, konkretisiert im Symbol »oben/unten«, sei durch die Phase bürgerkriegsähnlicher Unruhen während des 16. Jahrhunderts aufgebrochen worden und habe in der Folge »die Japaner für die Kontingenz der Welt« sensibilisiert (S. 210), verbunden mit einem Verweis auf den schillernden Begriff ukiyo, lässt sich gleich auf mehreren Ebenen widerlegen: Die Kontingenzerfahrung und -erkenntnis ist bereits zentraler Teil des buddhistischen Paradigmas, das wir seit der bahnbrechenden Arbeit The Karma of Words von William LaFleur 5 für die Zeit zwischen dem 10. und dem 17. Jahrhundert als dominierende Weltanschauung situieren können. Zudem zeigen die Herrschaftsdiskurse gerade der Frühen Neuzeit, weiterhin die im medialen Bereich einflussreichen Zensurmaßnahmen 6 oder das sankin kôtai-System und anderes, dass die Zentralgewalt, bei allen offenbar intentionalen Freiräumen für regionale Herrschaftsstrukturen, differenzierter betrachtet werden muss – nebenbei über alle Perioden der japanischen Geschichte hinweg.

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Auch lassen die Forschungen der letzten Jahrzehnte zu Fragen der Allgemeinbildung, insbesondere die Unterweisung in Lesen und Schreiben, die Behauptung, es sei die »dezentrierte Wissensproduktion und -distribution« (S. 209 und öfter), sprich: der Buchmarkt gewesen, der den gesellschaftlichen Wandel ermöglichte und als Wegbereiter der Moderne gesehen werden kann, doch deutlich relativieren. Die Charakterisierung der Vergnügungsviertel als »freier Raum«, in der »die Kurtisane« mit dem Recht auf Ablehnung offenbar den Status einer Partnerin bekommt, hält keiner kritischen Betrachtung der ökonomischen und genderbasierten Zwänge der Zeit stand. 7 Gerade das prinzipielle Ungleichgewicht als Verschränkung sozialer (= Stand) und genderbezogener Hierarchien bildet die Basis für zahlreiche Plots, auf die sich der Verfasser in den Kapitel 3 und 4 doch bezieht.

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Literarische Texte als Grundlage theoretischer Deutung zu verwenden, verlangt doch ein höheres Maß an hermeneutischer Reflexion, um die Oberfläche der Inhalte respektive der Narration nicht als Aussagen über Wirklichkeitskonstruktionen misszuverstehen. Der Eindruck hier wie an vielen anderen Stellen, die verhandelten Phänomene seien hinsichtlich ihrer historisch-philologischen Kontexte nicht immer gründlich erschlossen, trifft auch für grundlegende Realien zu. So ist der Ära-Name (nengô) nicht »die« damalige Jahresrechnung (S. 89), sondern nur eine unter mehreren, die Entstehungszeit der ersten acht auf kaiserliches Geheiß entstandenen Gedichtanthologien (Hachidaishû), kanonisch von größter Bedeutung für die gesamte Literaturgeschichte bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, nicht auf das 8. bis 10. Jh. zu datieren (S. 84) 8 – und anderes mehr.

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Der eigentliche Vorbehalt des Rezensenten betrifft jedoch die methodische Vorentscheidung zur Auswahl des Materials seiner drei Fallbeispiele. Mit dieser Auswahl und den daraus entwickelten Schlussfolgerungen steht und fällt die eingangs zitierte Hauptthese.

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Basis des ersten Fallbeispiels ist die »Interaktionssemantik iki« (S. 89). Damit verweist der Verfasser auf einen bedeutenden, primär ästhetisch interpretierten Begriff, der vor allem in der 2. Hälfte (!) der Frühen Neuzeit florierte. Grundlage seiner Analyse und genauere Bestimmung des Begriffs ist jedoch nicht die Arbeit an historischen Zeugnissen, d.h. literarischen Werken, sondern die Darstellung, die sich bei einem Philosophen vom Anfang des 20. Jahrhunderts findet, nämlich in dem einflussreichen Werk »Struktur des iki« (Iki no kôzô, erschienen 1930) von Kuki Shûzô (1888–1941). Der Verfasser verkennt dabei völlig, dass er damit einer invented tradition folgt, dem (re-)konstruierten, ja ansatzweise auch ideologischen Gegen-Entwurf zur abendländischen Tradition, den Kuki aus seiner Europa-Erfahrung in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts heraus konzipierte. Damit ist die »Struktur des iki« keine wissenschaftliche Quelle für die historische Semantik des frühneuzeitlichen Japan, sondern eine Primärquelle sui generis für die geistesgeschichtliche Situation innerhalb der Modernisierung Japans zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 9 Wenn der Verfasser zudem für die einführende Erläuterung des Zentralbegriffs zuerst auf das Gegenwartsjapanisch und die Zahl der Fundstellen im Internet zurückgreift (S. 92, in noch größerem Umfang wieder auf S. 165–167), manifestiert sich auch schon allein darin eine Tendenz zur Ahistorizität im Umgang mit dem sprachlichen respektive begrifflichen Material.

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Für das zweite Beispiel, die sogenannte Kasei-Periode vom Anfang des 19. Jahrhunderts, wählt der Verfasser ein besonderes Subgenre aus dem breiten Gebiet der »unterhaltenden [Prosa-]Werke« (gesaku), die »Werke von Gefühl und Leidenschaft« (ninjôbon). Sie zeichnen sich hinsichtlich der Rezeption u. a. dadurch aus, dass sie eine verhältnismäßig hohe Zahl an Leserinnen besaßen. Wie bereits beim ersten Fallbeispiel greift der Verfasser auf ausgewählte Begrifflichkeiten der Zeit zurück, die ihm charakteristisch für das Genre und die darin verhandelten Liebesdiskurse sind. Ein Beleg für die wissenschaftliche Verortung der beiden Begriffspaare im angegebenen Zeitraum findet sich jedoch nicht (S. 132–133). Spannend, wenn auch in eine ganz andere Richtung gehend, ist seine abschließende literatursoziologische Analyse der narrativen Plots von insgesamt 81 Werken des Subgenres. Doch auch hier ist zu fragen, ob die Entscheidung, für diese Analyse primär den Rückgriff auf Sekundärliteratur in Form von Lemmata eines aktuellen Lexikons (Ninjôbon jiten 2010) zugrunde zu legen, eine sinnvolle narratologische Aussage erlaubt.

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Das letzte Fallbeispiel behandelt fraglos die komplexeste Situation, die literarischen Aktivitäten zu Beginn der Modernisierung vom Ende des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, die sogenannte Meiji-Zeit, aus einer Phase also, die durch die intensive und nicht immer unproblematische Auseinandersetzung mit »westlichen« 10 Konzepten und literarischen Formen geprägt ist. Für die zugrunde liegende Begrifflichkeit kann der Verfasser auf eine schon seit geraumer Zeit diskutierte Dichotomie zurückgreifen: iro für die traditionelle, ren’ai oder ai als Übersetzungsbegriff für ein modernes, »westliches«, sublimiertes Liebesideal.

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Aus der Vielzahl derartiger Versuche greift der Verfasser zunächst die Positionierungen einiger Intellektueller der Meiji-Zeit heraus. Den Hauptteil des Kapitels nehmen dann Kurzparaphrasen einer Reihe von ausgewählten Werken der Zeit ein; die Auswahl beschränkt sich dabei auf das Subgenre der »Familienromane« (katei shôsetsu), d.h. als Fortsetzungsromane in Zeitungen erschienene Werke u.a. geringerer erzählerischer Komplexität. Analysiert werden die ausgewählten Beispiele reduziert nach den beiden Kategorien sozialer Stand der Hauptprotagonisten einerseits, Happy end bzw. tragisches Ende andererseits. Die »repräsentative« Auswahl überzeugt hier ebenfalls nicht: Warum wird der für das Genre so wichtige Kikuchi Yûhô nur äußerst knapp erwähnt und sein Ono ga tsumi nicht analysiert – eines der Werke, um deren Zugehörigkeit zum Subgenre es kaum Diskussionen gibt 11 –, warum werden umgekehrt die Vorbehalte zur Zuordnung von Ozaki Kôyôs Konjiki yasha oder Tokutomis Hototogisu, beide angeführt, nicht thematisiert? 12 Was sind die Gründe für die Auswahl der beiden berücksichtigten Werke Natsume Sôsekis, die zudem gerade nicht das vorab genannte Kriterium »Sieg der Moral« (S. 186) erfüllen? Zudem blieb eines der beiden Werke unvollendet und lässt sich somit nur bedingt auf die Frage des abschließenden Plots befragen – eine andere Auswahl würde ein anderes Bild ergeben. Als gelungenes Beispiel für eine differenzierte Analyse der Behandlung der Liebeskonstellationen im Werk von Ozaki Kôyô ließe sich dem vorliegenden Versuch eine rezente Arbeit von Matthew Königsberg 13 gegenüberstellen, der die weitaus größere Varietät der sozialen Verhältnisse und der Plots bei diesem Autor deutlich macht. Auch für das Fallbeispiel dieses Kapitels würde also eine genauere Analyse zeigen, dass die semantischen Felder und ihre Umsetzung in narrative Strukturen weitaus komplexer sind und sich nicht auf eine tendenziell vereinfachte Argumentation reduzieren lassen, wie das im vorliegenden Fall geschieht.

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Formal leidet die Arbeit unter einer gewissen Uneinheitlichkeit, die vielleicht der Entstehungssituation geschuldet ist: Mal wird die Übersetzung von Werktiteln oder Begriffen auf Englisch gegeben, dann wieder auf Deutsch, einige kontextuelle Hinweise finden sich in ähnlicher Form in mehreren Kapiteln u.a. Etwas irritierend ist die recht hohe Zahl an Tippfehlern, zum Teil auch sinnentstellenden Charakters (»Hôseri University«, S. 13). Auf einige kleinere Umschriftprobleme sei zumindest hingewiesen.

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Ärgerlich ist schließlich auch der Hang zu Essentialismen; der dominierend verwendete bestimmte Artikel (»die Kurtisanen, die Intellektuellen, die Japaner«) ist ebenso ein Anzeichen hierfür wie die Formulierung »[E]inem nichtjapanischen Leser könnte sich dieses Verfahren als schwer nachvollziehbar präsentieren; ich bitte hierfür um Verständnis.« (S. 91) Mit dieser Tendenz zu kollektiven Ausdrucksweisen fällt der Verfasser genau in jene Position zurück, vor der er uns noch im einleitenden Kapitel als »für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung […] nicht länger anwendbar« (S. 27) gewarnt hatte.

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Zusammenfassend: Das Buch bietet eine interessante Lektüre mit einer Reihe von Überlegungen, die dazu anregen, überkommene Positionen zu hinterfragen. Es ist jedoch zugleich mit gehöriger Vorsicht zu rezipieren, sowohl hinsichtlich der Details als auch aufgrund der angesprochenen methodischen Vorbehalte hinsichtlich des großen Entwurfs. Wie spannend die »spontane Idee« der Übertragung und ihr theoretischer Anspruch also tatsächlich erscheinen, so bedürfen sie nach Einschätzung des Rezensenten zunächst einer gründlicheren Aufarbeitung sowohl der bestehenden Forschung als auch der dieser zugrunde liegenden Quellen, um diesen Anspruch erfüllen zu können.

 
 

Anmerkungen

Da dieser Zeitraum in der vorliegenden Arbeit nur am Rande berührt wird, seien zwei aktuelle Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum angeführt: Die zentrale Rolle der Lyrik als Medium der adligen Liebessemantik analysiert ausführlich Simone Müller: Sehnsucht nach der Illusion? Klassische japanische Traumlyrik aus literaturhistorischer und geschlechtsspezifischer Perspektive. Frankfurt/M.: Lang 2005. Zur Liebesthematik des Genji monogatari als Teil einer Verschränkung von Liebes- und Familien-Diskurs vgl. Jörg B. Quenzer: »Liebessehnsucht und Familienpolitik: Die Erzählung vom Prinzen Genji (Genji monogatari)«, in: Höhepunkte des mittelalterlichen Erzählens: Heldenlieder, Romane und Novellen in ihrem kulturellen Kontext; hrsg. von Hans Sauer, Gisela Seitschek und Bernhard Teuber. (= Beiträge zur älteren Literaturgeschichte) Heidelberg: Winter 2016, S. 323–343, insbesondere S. 334–339 und öfter.   zurück
Zu Briefen s. Markus Rüttermann: »Epistel der Liebeswerbung (yobaibumi) im vormodernen Japan: Notizen zur Kommunikation zwischen Männern und Frauen mit Augenmerk auf die Verschiebung von der Lyrik zur Prosa«, in: Intertextualität in der vormodernen Literatur Japans II; hrsg. von Judit Árokay. (MOAG 139) Hamburg: Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens 2002, S. 141–188, sowie ders.: Schreib-Riten (shorei): Untersuchungen zur Geschichte der japanischen Briefetikette, Teilband 1: Theorie und Überlieferung; Teilband 2: Rhetorik; Teilband 3: Nonverbalität und Intermedialität. (Izumi: Quellen, Studien und Materialien zur Kultur Japans 14) Wiesbaden: Harrassowitz 2011. Rüttermann geht auch ausführlich auf semantische Codes jenseits der reinen Textebene ein, bezieht etwa Fragen der Materialität oder Etikette ein.︎   zurück
Diese Warnung, das wird aus dem unmittelbaren Kontext deutlich, bezieht sich offenbar primär auf die westlichsprachige Japanologie als einer Forschungstradition, die durch eine plurale Differenz zur behandelten Kultur gekennzeichnet ist. Tatsächlich ist es dem Rezensenten ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass auch innerhalb der japanischen Forschung ein solches Unterfangen nicht ohne fachkundige Ausbildung – sei es in der Geschichtswissenschaft, der Philologie oder der Geistesgeschichte – unternommen werden würde. Die Unterweisung in die klassische japanische Schriftsprache (kobun) als Teil des universitären »Studium generale« in Japan und der familiäre Hintergrund (vgl. Anm. 3, S. 12) erweisen sich nicht als Garantie dafür, sich selbstverständlich in den entsprechenden Fachdisziplinen und ihren Texten zu bewegen.   zurück
Takemitsu Morikawa (Hg.): Die Welt der Liebe: Liebessemantiken zwischen Globalität und Lokalität. (Kulturen der Gesellschaft 7) Bielefeld: transcript 2014.   zurück
William R. LaFleur: The Karma of Words: Buddhism and the Literary Arts in Medieval Japan. Berkeley: University of California Press 1986.   zurück
Diese sind definitiv einflußreicher und komplexer, als sie vom Verfasser unter dem Kapiteltitel »Politische Zensur« eingeschätzt werden (S. 74–76).   zurück
Vgl. hierfür beispielsweise Michael Stein: Japans Kurtisanen: Eine Kulturgeschichte der japanischen Meisterinnen der Unterhaltungskunst und Erotik aus zwölf Jahrhunderten. München: Iudicium 1997, S. 366 und öfter.   zurück
Richtig wäre für die erste Anthologie vermutlich das Jahr 905, für die achte 1205.   zurück
Vgl. hierzu Leslie Pincus: Authenticating Culture in Imperial Japan: Kuki Shûzô and the Rise of National Aesthetics. (Twenthieth-Century Japan: The Emergence of a World Power 5) Berkeley: University of California Press 1996.   zurück
10 
Der Gefahr des Dichotomiebegriffs »Westen/Osten« eingedenk sei hier mit dieser Bestimmung auf historisch sehr genau identifizierbare Einflüsse während der Zeit ab etwa 1860 verwiesen, insbesondere aus den Kulturen Amerikas, Englands, Italiens, Frankreichs, Rußlands und Deutschlands.   zurück
11 
Vgl. zu Autor und Werk und ihrer Situierung Kathryn Ragsdale: »Marriage, the Newspaper Business, and the Nation-State: Ideology in the Late Meiji Serialized Katei Shôsetsu«, in: Journal of Japanese Studies 24:2. 1998, S. 229–255.   zurück
12 
Ragsdale 1998, S. 242.   zurück
13 
Matthew Königsberg: Ozaki Kôyô (1867–1903): Literarisches Schaffen zwischen Tradition und Moderne: der Ken’yûsha-Dichterkreis und die Erfindung des japanischen Realismus; eine diskursorientierte Werkanalyse. (MOAG 146) Hamburg: Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens 2008.    zurück