IASLonline

Vorletzter Schritt eines langen Weges: Ein weiterer Katalogband zu den deutschen mittelalterlichen Handschriften der Staatsbibliothek München.

  • Elisabeth Wunderle: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Handschriften aus Cgm 5255-7000 einschließlich der althochdeutschen Frag-mente Cgm 5248. (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 5. Editio altera: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek 9) Wiesbaden: Harrassowitz 2018. en Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek S. Gebunden. EUR (D) 189,00.
    ISBN: 978-3-447-10988-8.
[1] 

Mit dem neunten Teil der Reihe bringt Elisabeth Wunderle das Großprojekt der Neukatalogisierung der mittelalterlichen deutschen Handschriften der Cgm-Reihe der Bayerischen Staatsbibliothek beinahe zum Abschluss: Bereits 1920 legte Erich Petzet den ersten Teil der Reihe mit den ausführlichen Beschreibungen der Pergamenthandschriften Cgm 1 bis 200 vor. 1 Bis zum Jahr 2005 erarbeitete Karin Schneider in den Teilbänden zwei bis acht die mittelalterlichen Handschriften bis Cgm 5247 sowie die Fragmentsammlungen Cgm 5249 und 5250. Es verblieben somit noch etwa 230 mittelalterliche deutsche Handschriften aus dem Signaturenbereich Cgm 5255 bis 9500, deren ausführliche Beschreibung durch Elisabeth Wunderle zwei weitere Teilbände umfassen soll. Deren erster Band liegt nunmehr vor und umfasst 114 Handschriften aus dem Signaturenbereich Cgm 5255 bis 7000 sowie die bisher in der Katalogreihe übergangenen, unter der Signatur Cgm 5248 zusammengefassten Fragmente. 2

[2] 

Der bearbeitete Bestand

[3] 

Dieser Bestand ist in jeder Hinsicht ausgesprochen heterogen: Der im 19. Jahrhundert von Johann Andreas Schmeller initiierten Aufstellung der Bayerischen Staatsbibliothek folgend, ist der hier bearbeitete Signaturenbereich nicht nach Entstehungszeitraum, Format oder Inhalt sortiert, sondern nach dem Erwerbungszeitpunkt durch die BSB geordnet. Handschriftengruppen ergeben sich jedoch der Provenienz nach, da sich der betreffende Bestand zu großen Teilen aus Auslieferungen verschiedener Institutionen zusammensetzt: 18 Handschriften stammen aus dem Königlichen Reichsarchiv München, dem heutigen Bayerischen Hauptstaatsarchiv, und wurden aufgrund eines Erlasses des K. Staatsministeriums des Innern von 1874 zumeist bis zum Jahr 1884, spätestens aber bis 1900 an die Bayerische Staatsbibliothek abgegeben. Aus der Königlichen Kreisbibliothek Regensburg, der heutigen staatlichen Bibliothek Regensburg, stammen 28 Handschriften, die 1876 ausgeliefert wurden. Das allgemeine Reichsarchiv gab 1898 neun Handschriften ab, die zuvor im Rahmen der sogenannten »österreichisch-ungarischen Auslieferung« dorthin gelangt waren, und schließlich gelangten sechs weitere Handschriften 1909 aus der Provinzialbibliothek Neuburg in die BSB. Die ursprüngliche Herkunft dieser 61 Handschriften aus Auslieferungen – überwiegend sind sie Säkularisationsgut – wird von Wunderle aufgeschlüsselt und übersichtlich in Listenform präsentiert. Alle übrigen Handschriften des vorliegenden Bandes sind als Einzelankäufe aus dem Antiquariatshandel in die Bayerische Staatsbibliothek gelangt und nicht zu gruppieren.

[4] 

Aufgrund dieses Ordnungsprinzips der Provenienz nach deckt der im vorliegenden Katalog bearbeitete Bestand zeitlich, räumlich und inhaltlich eine große Bandbreite ab.

[5] 

Zeitliche Erstreckung des Bestandes

[6] 

Während die Fragmente, die unter Cgm 5248 zusammengefasst sind, zum Teil bis ins 9. Jahrhundert zurückgehen, ist die Entstehung der übrigen Handschriften ganz überwiegend im Spätmittelalter anzusetzen. Nur zwei Handschriften stammen aus dem 13. Jahrhundert (Cgm 5256, die »Rothsche Predigtsammlung«, und Cgm 6247, der »Baumgarten geistlicher Herzen«), Cgm 6406 (Rudolfs von Ems »Weltchronik«) ist um 1300 entstanden, und sieben Handschriften stammen aus dem 14. Jahrhundert. Alle übrigen Handschriften sind ins 15. Jahrhundert oder auf den Anfang des 16. Jahrhunderts zu datieren. Die Beschränkung auf mittelalterliche Bestände wird dabei nach dem aus den Vorgängerbänden bekannten Prinzip nicht starr gehandhabt: Handschriften aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts wurden durchweg aufgenommen. Einzige Ausnahme ist die Meisterliedersammlung Cgm 6249-6252, die nur einen Faszikel enthält, der aus dem ersten Jahrhundertviertel stammt. Handschriften aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts wurden aufgenommen, wenn sie deutlich in mittelalterlicher Tradition stehen (Cgm 5618, 5925, 6254, 6558) oder einen wichtigen oder sogar den einzigen Überlieferungszeugen eines mittelalterlichen Werkes beinhalten (Cgm 5273, 5378, 5852, 6551) und zudem nicht archivalischen Inhalt überliefern. Handschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden hingegen nicht mehr berücksichtigt.

[7] 

Ebenfalls nicht starr gehandhabt wurde die Beschränkung auf deutsche Texte: Die lateinischen Handschriften Clm 3336, 12392 und 24842 sind in den Katalog aufgenommen, da sie ursprünglich eine Überlieferungseinheit mit Cgm 5255, 5302 und 5377 bildeten. Darüber hinaus werden im Fall von Cgm 5513, 5516 und 5612 Beschreibungen geboten, die schon zuvor an anderer Stelle erschienen sind. Mit Cgm 6913 findet außerdem eine verschollene Handschrift Eingang, die anhand von Sekundärliteratur rekonstruiert werden kann. Insgesamt wird in dieser Vorgehensweise das Bestreben deutlich, ein vollständiges Bild der in der BSB versammelten mittelalterlichen deutschen Texte und ihrer Überlieferungskontexte zu zeichnen – eine für den Nutzer übersichtliche und intuitiv nachvollziehbare Vorgehensweise.

[8] 

Räumliche Erstreckung

[9] 

Räumlich ist der Bestand fast ausschließlich auf das bairische und schwäbische Gebiet beschränkt. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Cgm 5315, eine geistliche Sammelhandschrift, die hauptsächlich Predigten Bernhards von Clairvaux enthält, Cgm 5915, Geert Grotes ›Getijdenboek‹ und andere Texte zu den Tagzeiten, sowie Cgm 5916, eine Übersetzung der ›Collationes patrum‹ des Johannes Cassianus, deren Schreibsprache jeweils auf das niederländische Gebiet verweist. Aus dem niederdeutschen Sprachgebiet stammt außerdem Cgm 5303, eine Sammlung von Urkunden, die die Kapelle zum Großen Heiligen Geist in Lüneburg betreffen. Mitteldeutsche Dialekte zeigen ferner Cgm 5924 (Thüringisch), Cgm 6572, I+II (Ostmitteldeutsch) und der südrheinfränkische Cgm 5927.

[10] 

Inhaltliche Bandbreite

[11] 

Den größten Anteil des auch inhaltlich sehr heterogenen Bestandes stellt die Erbauungs- und Andachtsliteratur, wie etwa reine Gebetbücher und in andere Kontexte eingebettete Gebete oder Texte zur Passion. Einen ebenfalls großen Anteil bilden die medizinischen Schriften und die zahlreichen Texte zur bayerischen Geschichte. Darüber hinaus bietet der bearbeitete Signaturenbereich eine große Vielfalt an literarischen Texten, historischen Berichten, privaten Briefen und anderem. Beispielhaft für die Bandbreite der bearbeiteten Handschriften seien nur einige hervorstechende Stücke herausgegriffen: Wegen ihres Alters besonders wichtige Überlieferungszeugen sind Cgm 5256, die bereits erwähnte, nach ihrem Auffinder Karl Roth sogenannte »Rothsche Predigtsammlung«, und Cgm 6247, der »Baumgarten geistlicher Herzen«. In Cgm 5498 lässt die Jahresangabe »1395« die Vermutung zu, dass die Entstehung des »Pesttraktats« Meister Konrads des Apothekers neu überdacht und nun deutlich früher angesetzt werden muss. Unikale Überlieferungen enthalten bspw. Cgm 5264 – er stellt den einzigen Textzeugen von »der maget Chrone« – und Cgm 5919, das sog. Hausbuch Ulrich Mostls, das zahlreiche Minnereden teilweise unikal überliefert. Cgm 6369 enthält eine bisher unbekannte Übersetzung der Bernhard von Clairvaux zugeschriebenen »Varia et brevia documenta pie seu religiose vivendi«. Als (Teil-)Autograph sticht Cgm 6353 hervor, eine Sammlung von Hans Folz‘ Meisterliedern von seiner eigenen Hand. Aufgrund des Beschreibstoffs fallen schließlich die sog. »Pollinger Wachstafeln« (Cgm 5918) auf, die auf 15 Tafeln ökonomische Notizen des Klosters Polling aus den Jahren 1431-1434 überliefern. Der prominenteste Band des behandelten Signaturenbereichs ist Cgm 6406, eine bebilderte Weltchronik Rudolfs von Ems.

[12] 

Zur Anlage

[13] 

Der Aufbau des Katalogs und der ausführlichen Beschreibungen entspricht dem aus den Vorgängerbänden von Karin Schneider bekannten Schema. Wenn es der Gegenstand erfordert, wird dieses Schema jedoch wiederum nach Bedarf angepasst, so bspw. bei den Sammelhandschriften. Die Bestimmung der Schreibsprachen ist bisweilen sehr ausführlich gehalten, wird dann jedoch zur leichteren Auffindbarkeit durch eine eindeutigere Zuordnung im Register präzisiert (so bspw. bei Cgm 5513, der im Katalogisat als Text mit sowohl ostschwäbischen als auch mittelbairischen Elemente bestimmt wird, im Register jedoch (nur) als »Mittelbairisch mit ostschwäbischen Einflüssen« (S. 695) gelistet wird). Bei der Bestimmung der Schrift wird nicht kommentiert, welche Nomenklatur zugrunde liegt. Gerade bei den enthaltenen niederländischen Handschriften können so Unklarheiten bleiben, wenn bspw. in der Angabe »schleifenlose Bastarda (Hybrida)« (S. 252) zweierlei Bezeichnungen parallel verwendet werden.

[14] 

Verzeichnisse und Nutzbarkeit

[15] 

Auch die Register und Verzeichnisse entsprechen dem üblichen Standard: Das Personen-, Orts- und Sachregister hat die Form eines Kreuzregisters und vereint eine Vielzahl von Stichworten. Es beinhaltet an Personen und Orten die Namen der Verfasser, der erwähnten Personen, der Schreiber und Vorbesitzer, die Schreib- und Aufbewahrungsorte. Dabei erscheinen diese nicht nur unter den jeweiligen Ortsnamen, sondern zusätzlich gelistet unter den übergreifenden Stichworten. Dieses Verfahren bietet zusätzliche Übersichtlichkeit, hätte allerdings von einer großzügigeren Verwendung von Verweisen profitiert – so dürfte es ungeübten Nutzern schwerfallen, die Schreiborte unter dem Stichwort »Provenienz (I)« aufzufinden. Außerdem bietet das Kreuzregister Auflistungen unterschiedlicher Textarten, Schlagworte aus dem Bereich Buch- und Schriftwesen, Fragmente und Trägerbände, gesonderte Auflistungen der datierten und datierbaren Handschriften und Auflistungen der Handschriften in den unterschiedlichen. Unter den Schriftarten werden nur die »besonderen« ins Register aufgenommen – in diesem Falle die griechische Perlschrift in Cgm 5248(2, II und die askenasische Quadratschrift in Cgm 6552, I – und alle übrigen Schriften nicht gesondert gelistet. Dies ist standardmäßig auch nicht üblich, würde für paläographisch interessierte Nutzer aber einen großen Mehrwert bedeuten. Insgesamt leidet die Benutzbarkeit etwas unter dem Umfang des Personen-, Orts- und Sachregisters, sodass eine übersichtliche Auflistung der verwendeten Stichworte oder ausgelagerte Register der umfangreicheren Stichworte wünschenswert erscheinen. Dem Personen-, Orts- und Sachregister folgen die üblichen Spezialregister mit dem Verzeichnis der Hymnen (nach Analecta Hymnica), der Verse (nach Walther), der Initien und insbesondere der Gebetsinitien. Die Verzeichnung der Bibelprologe und der Legendentexte wird nicht in einzelnen Registern vorgenommen, sondern ins Kreuzregister integriert, was sinnvoll ist, da diese Texte nur in geringer Anzahl vorkommen. Besonders nutzerfreundlich ist die zusätzliche Auflistung der zum Veröffentlichungszeitpunkt des Katalogs bereits verfügbaren Digitalisate der BSB in der Übersicht der im Band beschriebenen Handschriften, ein (kürzerer) Permalink zu einer online geführten und ständig aktualisierten Auflistung wäre im Sinne der Nachhaltigkeit möglicherweise noch hilfreicher gewesen.

[16] 

Der folgende, zehnte Band der Katalogreihe befindet sich bereits in Vorbereitung. Hierin wird Elisabeth Wunderle mit den verbleibenden 135 Handschriften die Neukatalogisierung der Münchner mittelalterlichen deutschen Handschriften der Cgm-Reihe vervollständigen und damit ein bereits 100 Jahre andauerndes Projekt zu Ende führen.

 
 

Anmerkungen

Die deutschen Pergament-Handschriften Nr. 1-200 der Staatsbibliothek in München, beschrieben von Erich Petzet. München, 1920 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis. T. 5, Ps. 1). Alle bis 2005 erschienen Kataloge sind auf der Website der BSB zugänglich, s. https://www.bsb-muenchen.de/sammlungen/handschriften/recherche/.    zurück
Zuerst erschienen als: Wunderle, Elisabeth: Cgm 5248: Die sogenannten althochdeutschen Fragmente der Bayerischen Staatsbibliothek München. In: ZfdA: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 139 (2010), S. 197-221.   zurück