Harald Fricke

Analytische Literaturwissenschaft
jenseits methodologischer Richtungskämpfe




  • Fotis Jannidis u.a. (Hg.): Regeln der Bedeutung. Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte. (Revisionen. Grundbegriffe der Literaturtheorie 1) Berlin, New York: Walter de Gruyter 2003. IX, 753 S. Gebunden. EUR 108,00.
    ISBN: 3-11-017558-4.


Inhalt

Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matías Martínez / Simone Winko: Der Bedeutungsbegriff in der Literaturwissenschaft. Eine historische und systematische Skizze (S. 3–30)

Werner Strube: Über verschiedene Arten der Bedeutung sprachlicher Äußerungen. Eine sprachphilosophische Untersuchung (S. 36–67)

Lubomír Doležel: The Role of Counterfactuals in the Production of Meaning (S. 68‑79)

Ulla Fix: Grammatik des Wortes. Semantik des Textes. Freiräume und Grenzen für die Herstellung von Sinn? (S. 80–102)

Roger D. Sell: Postmodernity, literary pragmatics, mediating criticism: Meanings within a large circle of communicants (S. 105–127)

Rüdiger Zymner: Uneigentliche Bedeutung (S. 128–168)

Axel Bühler: Interpretieren – Vielfalt oder Einheit? (S. 169–181)

Michael Kober: Analytische Bedeutungstheorien (S. 182–221)

Klaus Weimar: Literarische Bedeutung? (S. 228–245)

Ursula Christmann / Margrit Schreier: Kognitionspsychologie der Textverarbeitung und Konsequenzen für die Bedeutungskonstitution literarischer Texte (S. 246–285)

Tom Kindt / Hans-Harald Müller: Wieviel Interpretation enthalten Beschreibungen? Überlegungen zu einer umstrittenen Unterscheidung am Beispiel der Narratologie (S. 286‑304)

Fotis Jannidis: Polyvalenz – Konvention – Autonomie (S. 305–328)

Simone Winko: Über Regeln emotionaler Bedeutung in und von literarischen Texten (S. 329‑348)

Uta Schaffers: Fremde – Literatur – Verstehen? Fragestellungen einer Interkulturellen Hermeneutik (S. 349‑375)

Ruth Finnegan: Where is the meaning? The complexities of oral poetry and beyond (S. 384‑400)

Herbert Willems / Marianne Willems: Soziologische Zugänge zur Bedeutung von Medientexten (S. 401‑430)

Rainer Winter: Polysemie, Rezeption und Handlungsmächtigkeit. Zur Konstitution von Bedeutung im Rahmen von Cultural Studies (S. 431‑453)

Roger Lüdeke: Materialität und Varianz. Zwei Herausforderungen eines textkritischen Bedeutungsbegriffs (S. 454‑485)

Lawrence Kramer: Haydn’s Chaos, Schenker’s Order; or, Musical Meaning and Musical Analysis: Can They Mix? (S. 486-511)

Anke-Marie Lohmeier: Filmbedeutung (S. 512‑526)

Gerhard Lauer: Die zwei Schriften des Hypertexts. Über den Zusammenhang von Schrift, Bedeutung und neuen Medien (S. 527‑555)

Karl Eibl: Vergegenständlichung. Über die kulturstiftende Leistung der Menschensprache (S. 566‑590)

Peter Strohschneider: Unlesbarkeit von Schrift. Literaturhistorische Anmerkungen zu Schriftpraxen in der religiösen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts (S. 591‑627)

Bernhard F. Scholz: Konstruktionen des Sichtbaren. Frühmoderne Regeln der Bedeutung, am Beispiel der Darstellung des Figurengedichts in den Poetiken Julius Caesar Scaligers und George Puttenhams (S. 628–643)

Lutz Danneberg: Besserverstehen. Zur Analyse und Entstehung einer hermeneutischen Maxime (S. 644‑711)

Renate von Heydebrand: Gender als Faktor in der Bedeutungskonstitution von literarischen Texten (S. 712‑733)

Fazit





[1] 
Bedeutung‹ ist ein systematisch mehrdeutiger Begriff; schon aus diesem Grund wird [...] deutlich, dass mehrere Menschen, die über die Bedeutung von Literatur sprechen, nur selten dasselbe Phänomen meinen.
[2] 

Goldene Worte. Dass sie gleichwohl in der Einleitung dieses gewichtigen Tagungsbandes 1 so klar ausgesprochen werden, ist schon ein erstes Verdienst; ein größeres freilich, dass daraus nicht resignative Konsequenzen gezogen werden. Die Herausforderung einer Klärung und Systematisierung literaturwissenschaftlicher Redeweisen von ›Bedeutung‹ wird hier entschieden angenommen; Rekonstruktion statt Dekonstruktion des Bedeutungsbegriffs heißt das Ziel.

[3] 

Aufschlussreich ist insofern, wer in dem personenreichen Register dieses Bandes alles nicht vorkommt: kein Adorno oder Habermas, kein Freud oder Lacan. kein Deleuze, Guattari oder de Man, keine Hélène Cixous oder Luce Iragaray – und Nietzsche für einmal allein in einer Beispiel-Reihe kritischer Werkeditionen. 2 Keineswegs zufällig hat dafür der Verlag auf die abschließende Seite einen Hinweis auf das mit »Band 3« gerade abgeschlossene Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft gesetzt: Nicht weniger als elf Beiträger dieses Sammelbandes haben dort mitgearbeitet, und sechs von ihnen waren bereits beim Weichen stellenden DFG-Symposion »Zur Terminologie der Literaturwissenschaft« 1986 in Würzburg dabei.

[4] 

Kurz: Die Analytische Literaturwissenschaft hat die Phase methodologischer Richtungskämpfe hinter sich gelassen und ist, sehr im Gegensatz zu kurzatmig wechselnden Modetorheiten des Faches, normales Paradigma seriöser Literaturwissenschaft geworden, im deutschsprachigen wie englisch-internationalen Bereich.

[5] 

Deshalb soll hier auch keine Pauschalrezension des Unternehmens (mit seinen vier Unterkapiteln der »Sprachphilosophischen und linguistischen«, der »Literaturwissenschaftlichen« und »Medienwissenschaftlichen Aspekte der Bedeutung« sowie »Historischen Aspekte literarischer Bedeutung«) folgen: Die Qualität und Differenziertheit der 30 Einzelbeiträge verdient, verlangt und lohnt eine knappe Darstellung sowie bei Bedarf eine stichwortartige Kritik ihrer Hauptpunkte.

[6] 

Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matías Martínez / Simone Winko:
Der Bedeutungsbegriff in der Literaturwissenschaft.
Eine historische und systematische Skizze
(S. 3–30)

[7] 

In der aspektreichen Einleitung der vier Herausgeber wird, wie sich das gehört, das Unternehmen begründet: »Gemessen an Grundbegriffen wie ›Autorschaft‹ oder ›Fiktionalität‹ ist ›Bedeutung‹ der Grundbegriff der Literaturwissenschaft« (S. 6). Zur überblickshaften Ordnung der relevanten Gesichtspunkte wie der folgenden Einzelbeiträge bietet sich zunächst eine erweiterte Variante des bewährten Kommunikations-Modells an: ›Bedeutung‹ im Lichte des Autors (intentionalistisch, überpersonal oder subjekt-dezentriert), des Textes (formal, inhaltlich, materialgebunden oder semiotisch-prozesshaft), verschiedener Kontexte (durch kollektive Identitäten, institutionalisierte Textgruppen, mediale Einflüsse) und schließlich des Lesers (empirisch, rezeptionsästhetisch oder wirkungsgeschichtlich). Daneben werden hier probeweise auch andere Ordnungslinien ins Problemfeld eingezogen: etwa die Differenzierung nach literaturtheoretischen Positionen – Fregeaner vs. Wittgensteinianer sive ›ideal vs. ordinary language philosophy‹; Kantianer vs. Hermeneutiker; Deviationsstilistiker vs. Abweichungspoetiker (nein, das ist gg. S. 11 ein fundamentaler Gegensatz und keine bloße Erweiterung!); Strukturalisten vs. Poststrukturalisten; Widerspiegelungs-Theoretiker klassisch-marxistischer vs. aktualisiert-ideologiekritischer Provenienz (z.B. in postcolonial oder gender studies). Noch wieder anders gliedern sich die Bedeutungs-Konzeptionen nach den drei Leitbegriffen ambiguity, cognition und subversion (als das vermisste Antonym dazu böte sich übrigens confirmation an), erst recht nach den vier Grenzbegriffen ›Bedeutung als Thema‹ bzw. als ›Symptom‹ bzw. ›Lektüre‹ bzw. ›Sinn‹ (sensu Frege oder aber E. D. Hirsch).

[8] 

Viele Bemerkungen der Herausgeber zu dieser Gemengelage möglicher Bedeutungsaspekte finde ich ausgesprochen erhellend bis erfrischend (etwa S. 13 zu diversen literaturkritischen Erbschleichern der theoretisch längst abgewrackten Widerspiegelungs-Konzeption von Lukács). Andere wirken eher verdunkelnd, weil sich die all zu vielen Einteilungen überlagern: Feministische Literaturwissenschaft z.B. erscheint einmal als Variante der Widerspiegelungstheorie (S. 13), dann wieder als Variante jener Symptom-Interpretation (S. 26 f.), die wie schon Diltheys lebensphilosophische Literaturdeutung sprachliche Zeichen mit indexikalischen Anzeichen verwechselt.

[9] 

Auf der anderen Seite wird auch Unerlässliches übersehen oder übergangen. Dass »der emotionale Aspekt der Bedeutung literarischer Texte [...] erstaunlich wenig Beachtung gefunden hat« (S. 25), können die Herausgeber nur behaupten, weil sie diese philosophische Tradition selber nicht beachten. Franz Koppes so entschiedene wie umstrittene Theorie von der ›endeetischen Bedeutung‹ aller Literatur als ›Bedürfnisbekundung‹ 3 wird beispielsweise im ganzen Buch nicht erwähnt, geschweige diskutiert. Und dass ein Sammelband dieses Titels die literaturtheoretischen Klassiker der ›emotiven Bedeutungstheorie‹ wie insbesondere The meaning of meaning von C. K. Ogden und I. A. Richards (erstmals 1923) komplett ignoriert, hat schon einen leichten Hautgout von fachgeschichtlicher Ignoranz.

[10] 

Werner Strube:
Über verschiedene Arten der Bedeutung sprachlicher Äußerungen.
Eine sprachphilosophische Untersuchung
(S. 36–67)

[11] 

Wer in der Herausgeber-Einführung so etwas vermissen sollte wie eine schulmäßige ›philosophical analysis‹ des vieldeutigen Bedeutungsbegriffs und seiner Satz- bzw. Verwendungs-Kontexte, wird gleich im ersten Tagungsbeitrag des literaturverbundenen Sprachphilosophen Werner Strube reich entschädigt. Denn der ganze Erste Tag / Teil I ist, wie der verantwortliche Kurator Matías Martínez in seinen magistralen Vorbemerkungen festhält, der Aufgabe gewidmet, das »umfassende Verständnis und das feingliedrige begriffliche Instrumentarium, das Linguisten und analytische Sprachphilosophen seither für die vielfältigen Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke erstellt haben, [...] für literaturwissenschaftliche Fragestellungen fruchtbar zu machen« ‑ von denen sich Teile des Fachs mit der modischen Hinwendung zu den Cultural Studies abgewendet hätten: »Diese abwehrende Haltung sollte revidiert werden« (S. 34 bzw. 33). – Zwei der Zuordnungen Strubes möchte ich dennoch mit einem leisen Fragezeichen versehen. Ob das eher nach Rückfall aussehende Bemühen R. D. Sells, der »Dezentrierung des Subjekts im Poststrukturalismus eine erneuerte Variante der Hermeneutik Hans-Georg Gadamers entgegen« zu stellen, wirklich hierher gehört? (Es ist nicht alles gleich Analytische Philosophie, was gegen die Poststrukturalisten wettert.) Und ob sich die Gleichsetzung von L. Doležels modallogischer ›Theorie möglicher Welten‹ mit ›kontrafaktischen Aussagen‹ (S. 35) nicht doch etwas kurzschlüssig erfolgt? Fiktionale ›possible worlds‹ können, graduell gestuft vom historisch Hypothetischen bis zum radikal Phantastischen, auch counterfactual propositions einschließen, sind aber keineswegs auf diese eingeschränkt: Auch Historische Romane oder Dokumentartheater-Dramen präsentieren uns nichts anderes als vergleichsweise wirklichkeitsnahe ›Possible Worlds‹!

[12] 

Strubes Analyse des Bedeutungsbegriffs nun bleibt ganz auf der ›differentialistisch‹ beschreibenden Linie und auf dem musterhaften Genauigkeits-Niveau seiner oft zitierten, aber zu wenig gelesenen Analytischen Philosophie der Literaturwissenschaft. 4 Ich kann mich dennoch des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass Strubes Ausführungen hier am Kern des Problems bzw. der tagungsspezifischen Thematik etwas vorbeigehen. Freimütig erklärt der Verfasser: »Ich gehe also nicht vom terminologischen Gebrauch aus, den das Substantiv ›Bedeutung‹ [...] in [...] literaturtheoretisch-erkenntnistheoretischen Kontexten hat« (S. 35). [Sollte es darum den versammelten Literatur- und Erkenntnistheoretikern des Faches nicht eigentlich gehen?] »Ich sehe z.B. davon ab, dass die Bedeutung einer bestimmten Äußerung [...] – vor allem im Falle literarischer Äußerungen – auch vom besonderen Stil [sic] des Textes [...] determiniert bzw. begrenzt sein kann« (S. 40). Nun, die einfache Methode des ›Absehens‹ von auftretenden Schwierigkeiten hat bereits Gottlob Frege in seiner berühmt beißenden Rezension der Zahlen des Herrn Schubert sarkastisch empfohlen:

[13] 
Wenn man bei einer wissenschaftlichen Untersuchung auf Schwierigkeiten stößt, so sehe man von ihnen ab, und man hat sie überwunden [...] Dieser Gedanke möchte indessen nicht neu sein; schon der Vogel Strauß soll einen ähnlichen gehabt haben. 5
[14] 

Die Crux literarischer Bedeutungsbestimmung liegt doch gerade darin, dass hier die vertrauten Regeln alltäglicher Kommunikationsverläufe nicht verlässlich gelten, sondern ausnahmslos und jederzeit ad hoc aufgehoben werden können: Literarischer Sprachgebrauch ist eben kein situationsgebundener ›speech act‹, an dessen Modell Strube explizit im Anschluss an Wittgenstein, Austin, Ryle und Searle seine Analysen orientiert. Und so analysiert er auch nicht wirklich die poetisch relevante »Bedeutung der metaphorischen Äußerung« (S. 50–53; stillschweigend nach Jakobsons Grundopposition der metonymischensive ›symbolischen‹ Uneigentlichkeit S. 53–56 entgegengesetzt); sondern er analysiert das konventionell gesteuerte Verständnis längst lexikalisierter ›verblasster Metaphern‹ unseres gemeinsamen Wortschatzes wie der von Achills Löwenmut – eine leider gar nicht selten begegnende Verwechslung von Semantik mit Etymologie.

[15] 

Lubomír Doležel:
The Role of Counterfactuals in the Production of Meaning
(S. 68‑79)

[16] 

Persönlich zwar war der Grand Old Man, als Schüler von Havránek und Mukařovský der ›Letzte Mohikaner‹ des Prager Strukturalisten-Kreises (geistig aber noch immer scharfäugig und geschmeidig wie der junge Uncas!), durch die Luftverkehrs-Folgen des 11. September 2001 an der einen Tag später beginnenden Tagung gehindert. Sein gedruckter Beitrag bereichert aber den Sammelband um einen interessanten Spezialaspekt: Sätze im Modus des Irrealis (›counterfactuals‹) in historischer Forschung (die andernorts so genannten ›Hypothetischen Fiktionen‹) im Kontrast zu ihrer Sonderrolle in ›Literarischer Fiktion‹ (nicht nur in erzählerischer übrigens – vgl. ganz ähnlich etwa Max Frischs Theaterstück Biographie. Ein Spiel). Beherzigenswert besonders Doležels Leitsatz: »the study of meaning has to follow the expansion of the study of language – from grammar […] to communicative action and interaction«, näherhin »to the macrosemantics of counterfactuals [as] a significant means of artistic invention and scientific inquiry« (S. 68–70). Spannende und teilweise sogar narrativ potenzierte Beispiele werden einbezogen (etwa nach einem Roman von Philip K. Dick: ›Wenn Hitler den Weltkrieg gewonnen hätte und dann ein Underground-Autor sich das Gegenteil ausgedacht hätte – sähe das dann [minus mal minus ergibt plus!] wirklich so aus wie unsere Welt?‹); sie stützen freilich nicht gerade zwingend die anti-deterministischen Folgerungen des Autors. Und sein thesenhaft zentral gesetzter Bezug auf »the concept of presupposition« leidet an einem ziemlich unterminologischen Gebrauch des Präsuppositions-Begriffs im Sinne einer bloßen ›stillschweigend ausgeschlossenen logischen Alternative‹ (S. 77 bzw. 69). Zentral aber die Einsicht (die gleichsam ein experimentell erweitertes Realismus-Konzept mit sich führt): »Human experience encompasses both the lived world and its possible alternatives« (S. 79).

[17] 

Ulla Fix:
Grammatik des Wortes. Semantik des Textes.
Freiräume und Grenzen für die Herstellung von Sinn?
(S. 80–102)

[18] 

Mehr als plausibel, neben der Sprachphilosophie und der Literaturtheorie auch die Sprachwissenschaft gleich in den grundlegenden Kapiteln zur Sache zu befragen – noch dazu in der Person der verdienten Leipziger Textlinguistin und führenden Stiltheoretikerin Ulla Fix, die heute die bedeutenden DDR-Schultraditionen einer Elise Riesel, eines Wolfgang Heinemann oder Georg Michel niveauvoll weiterführt. Nahe liegenden Kalauern wie »Nix ist Fix« tritt sie denn auch gleich entschieden entgegen mit der Erinnerung, dass auch der Freiraum literarischer Interpretation stets Grenzen hat: Sie sind immer nur »so weit gezogen, wie das Wortgefüge, wie der Text Verstehensmöglichkeiten anbietet und Entscheidungen offen lässt« (S. 83). Weniger zufrieden wird man mit ihrer Formulierung sein, im Text nicht wenigstens ›keimhaft angelegte‹ Sinnzuschreibungen seien »ausgeschlossen«. Das klingt unnötig normativ nach Sprachpolizei oder zwischenstaatlicher Rechtlese-Kommission. Wenn aber (a) ein Ausländer einen Witz missversteht, wenn (b) eine heutige Leserin einen barocken »Englischen Gruß« statt als ›Gebet‹ fehl liest als ›britische Begrüßung‹ oder wenn (c) poststrukturalistisch begeisterte Zeitgenossen in Ecos physikhistorischem Buchtitel Das Foucaultsche Pendel eine Verbeugung vor dem Verfasser der Archäologie des Wissens sehen: dann sind solche Deutungen zwar erlaubt, aber ganz einfach falsch in dem gleichen Sinne, wie sich die Arithmetik nicht dadurch ändert, dass sich laufend Leute verrechnen.

[19] 

Noch in zwei anderen Punkten wird der Literaturtheoretiker Zweifel an den hier gegebenen linguistischen Auskünften anmelden wollen. Zum einen an der Grundannahme, »dass ein jeder Text, gleich ob literarischer oder nichtliterarischer Art, ein solches Superzeichen« darstelle – im Sinne des Ausschreibungstextes, »dass der gesamte Text als ein Zeichen mit einer einzigen Bedeutung gelten kann« (S. 83). Soll nämlich die Rede vom »Literarischen Text« als terminologisches Explikat für ehrwürdige germanistische Wendungen wie »Dichterisches Werk« gelten, dann ist gerade diese Superzeichen-Bedeutung die Besonderheit der Literatur: im Sinne einer gesamthaften ›These‹, die eine Dichtung (nach Gottfried Gabriels 6 schöner Formulierung) über alle Einzelheiten der Oberflächen-Semantik hinweg dem Leser ›zu verstehen gibt‹. ‑ Und so dankenswert der empirische Bericht der Autorin über ein kleines Experiment mit studentischen Reaktionen auf ein syntaxfreies Gedicht von Uwe Kolbe ist (S. 96–100): Über Literatur in einem der Realität des literarischen Lebens von heute entsprechendem Sinne sagt das ebenso wenig aus wie Jakobsons hier autoritativ angeführte ›Poetische Funktion‹. Denn dass in Literatur die Aufmerksamkeit »primär auf das Sprachliche« gelenkt werde, das gilt eben nur für Minimallyrik wie solche sprachexperimentellen Gedichte (oder eher noch für Werbe-Slogans vom Typ »I like Ike«), aber in keiner Weise für aktuell dominierende Genres wie Gesellschaftsromane, TV-Dokumentarspiele oder postmoderne Pop-Literatur. Ohne den entschiedenen Schritt zu einer ›Soziolinguistischen Poetik‹ 7 ist für sprachwissenschaftliche Ansätze gegenüber heutigem Literaturverständnis wohl nicht viel Neues mehr zu gewinnen.

[20] 

Roger D. Sell:
Postmodernity, literary pragmatics, mediating criticism:
Meanings within a large circle of communicants
(S. 105–127)

[21] 

Ansätze zu einer solchen pragmalinguistischen Sicht bietet gleich der folgende Beitrag des in Finnland lehrenden, publikationsfreudigen Literaturpragmatikers Roger D. Sell (ein Gelehrter von angelsächsischem Witz, und für mich eine der Entdeckungen dieses Buches). Demgemäß plädiert er zunächst einmal für die Beachtung einer lebendigen Vielfalt von Literaturformen (S. 103) wie von Leserschaften (S. 108 ff.) – verschärft in unseren postmodernen Zeiten: »in the maelstrom of postmodern polyculturality« (S. 109). Im Zuge seiner launigen, durchweg lesens- und bedenkenswerten Reflexionen tritt er ein für eine gleichrangige Beachtung aller drei an literarischer Bedeutungs-Konstitution beteiligten Faktoren des semiotischen Dreiecks (vom Autor intendierte Bedeutung; Textbedeutung unter besonderer Beachtung des selbständig sinnstiftenden Figural; historisch wie individuell variablen semantischen Füllung durch die Leser). Dazu freilich muss man wohl gar nicht auf die heideggerisierte »Gadamerian hermeneutics« (S. 113) zurückgreifen – Schleiermacher, Boeckh, Peirce oder Ingarden reichen da schon vollauf.

[22] 

Sells Ideal einer Literaturwissenschaft als Vermittler-Tätigkeit (»mediating criticism« 8 ) dringt auf »interactive reciprocity of literary communication« (S. 113) und auf zurückhaltend informierende statt Interpretationen fixierende »commentaries on literature« 9 als »humble readiness to mediate« (S. 123), sc. »between people variously placed« (S. 108). Seine fachgeschichtlichen Skizzen freilich fallen dabei zuweilen ebenso in den ›Habitus des Strohmanns‹ 10 (besonders auffällig S. 110–112) wie seine gelegentlichen Ausfälle gegen »inappropriate scientism« (S. 107): Dass die untersuchten Prozessualitäten den Beteiligten selbst in keiner Weise in ihrer theoretischen Komplexität präsent sind, teilt die Literaturtheorie ja beispielsweise mit der Sexualforschung. Insgesamt neigt Sells Beitrag weniger zu dezidierten Thesen als zu umsichtig formulierten Mahnungen – und durchweg zu einer Haltung, die ich einmal ›Philology of Commonsense‹ 11 genannt habe: In jeder Literatur »is a sense of meanings at work« (und dies »despite any Derridean suspicions«, S. 104). Und er schließt mit einem sympathisch optimistischen Ausblick auf die Zukunft des Faches (S. 125), den man gar zu gern teilen würde…

[23] 

Rüdiger Zymner: Uneigentliche Bedeutung
(S. 128–168)

[24] 

Die semantischen Spezialfälle der Metapher und der Ironie, die bereits Sell als Sonderformen literarischer Bedeutung anspricht (S. 113 bzw. 115), werden ausgeführt zu einer generalisierten Theorie literarischer Uneigentlichkeit in dem insoweit unmittelbar anschließenden Beitrag von Rüdiger Zymner (der zwischen seiner Monographie von 1991 und seinem Reallexikon-Artikel von 2003 12 recht eigentlich zum Platzhirsch des ganzen Themenbereichs geworden ist). Die Überlänge seines Beitrags wäre freilich vermeidbar gewesen, wenn er nicht gar so schulmäßig bei Adam und Eva in Sachen aller Bedeutungsfragen ausgeholt hätte. Spannend wird es ab S. 144 f. – dort findet man eine klare Antwort auf die Leitfrage der Tagung nach Grenzen literarischer Bedeutungszuweisungen: Sie sind »einerseits durch das Bedeutungspotential der beteiligten Lexeme begrenzt, andererseits durch den kotextuellen und kontextuellen Zusammenhang«.

[25] 

Aber zu Recht beharrt Zymner hier auf dem spezifisch literarischen Freiraum »kognitiver Individualisierung« bei der aktiven Verstehensleistung des Rezipienten uneigentlicher Rede: »Insofern gibt es nicht eine und nur eine richtige Interpretation eines metaphorischen Ausdrucks, jedoch kann es eine falsche geben«. Auch wer literaturtheoretisch bis dahin mitgeht, wird sich freilich bei den folgenden, grundlegenden Differenzierungen von Uneigentlichkeit gegenüber ›Fiktionalität‹ (mit Zipfel gegen Gabriel, nicht immer ganz einleuchtend) wie gegenüber ›Literarizität‹ (mit K. Weimar gegen S. J. Schmidt, hier teilweise etwas vom Bandthema abführend) vielleicht doch von mancher so paradox zugespitzten wie argumentativ gut abgestützten Formulierung verblüffen lassen: »denn der Leser versteht mit einer Metapher oder einer Metonymie ja nicht etwa wirklich einen Fremden, sondern immer nur sich«; mit dem »paradoxen Effekt«, dass »sich der Leser als (kreatives, phantasievolles) Individuum erlebt, indem es ein (kreatives, phantasievolles) Individuum zu verstehen glaubt« und dass »der Leser sich selbst als Individuum verstanden fühlt, und zwar von dem Fremden, den zu verstehen der Leser vermeint, wenn er nur sich vernimmt und versteht« (S. 157).

[26] 

Axel Bühler:
Interpretieren – Vielfalt oder Einheit?
(S. 169–181)

[27] 

Philosophische Beiträge können, gerade aus ihrer abstrahierenden Distanz zum literaturwissenschaftlichen Alltagsgeschäft, dem Fach wichtige Einsichten vermitteln und methodologische Revisionen initiieren (z.B. bei Nelson Goodman, Gottfried Gabriel, Werner Strube). Dieser Beitrag tut es nicht. Er diskutiert einzig eine neuere englische Arbeit von Paul Thom (nicht aber das Referenzwerk zum Interpretationsbegriff von Axel Spree 13 ), die er aber weniger kritisiert als durch Fehlübersetzungen lächerlich macht (S. 176–181). Ansonsten pendelt der Text betont locker hin und her zwischen der prätentiösen Neuetikettierung von trivialen Homonymien (›performative‹ vs. ›deklarative Interpretation‹ für den Unterschied z.B. zwischen Theateraufführung und Dramenanalyse) und historisch haltlosen Verallgemeinerungen: Sachliche ›Richtigkeit‹ und argumentative ›Gültigkeit‹ spielen entgegen seiner unbelegten Unterstellung sehr wohl eine wichtige Rolle in der Tradition literaturwissenschaftlicher Deutungsarbeit – und tun dies partiell bis heute (Faktentreue etwa in der Diskussion um Hochhuths dokumentarische Thesen-Stücke, Widerspruchsfreiheit z.B. in der sozialgeschichtlichen Interpretation von Aufklärungsdramen 14 ). Und wenn Bühler dann auch noch die Rezeptionsästhetik als »eine Art von Wirkungsfeststellung« missversteht (S. 172), dann wird es Zeit, dass man sich des Autors ausdrücklicher Haltung »Gegen [solche] philosophische[n] ›Theorien‹ der Interpretation« (S. 176) anschließt und zum nächsten Beitrag springt.

[28] 

Michael Kober: Analytische Bedeutungstheorien
(S. 182–221)

[29] 

Dieser philosophische Beitrag ist, nicht nur dem Umfang nach, von ganz anderem Kaliber – allerdings für Untrainierte in Schreibgewohnheiten der Analytischen Philosophie wohl auch in weit höherem Maße ziemlich starker Tobak. Dabei dürften besonders die historisch wie systematisch elementar ansetzenden Abschnitte 1.‑3. speziell zur Einführung für solche Leser gedacht sein. En passant enthalten sie aber auch für den Kenner schon starke Pointen (wie S. 191 über Wittgensteins pragmatistische Spätphilosophie: »Diesbezüglich bleibt der Grundgedanke der Bildtheorie [aus dem frühen Tractatus] erhalten«) und problematische Seitenhiebe (wie S. 187: »ohne Begründung schon bei Frege« – aber der hatte die betreffende Referenz von Sätzen auf Wahrheitswerte in »Sinn und Bedeutung« doch geradezu zwingend abgeleitet!). Dies alles führt zu einem für jedes humanwissenschaftliche Ohrenpaar gewiss angenehmen Resümee: »Deshalb muss eine Bedeutungstheorie auch Begriffe enthalten, die sich nicht allein mit Hilfe von naturwissenschaftlichen Begriffen definieren lassen« (S. 195) – nämlich mindestens den Begriff der Regel und ihres Befolgens; besser noch den von Kober explizierten Begriff einer Sozialen Handlung (S. 197 f.), der unter anderem das interessante Merkmal einer »Interdependenz der Handlungsziele« einschließt.

[30] 

Ein möglicherweise hochergiebiger Anknüpfungspunkt für eine Spezialtheorie literarischer Bedeutungskonstitution bzw. literaturwissenschaftlicher Interpretationsmethodik (nämlich als Abweichungstheorie gegenüber bekanntem, normkonformem Sprachgebrauch) ließe sich in folgendem Zwischenbefund ausmachen: »Das heißt, die Interpretation findet allein durch die Erstellung von Erweiterungstheorien statt« (S. 209). Doch leider wagt Kober diesen Schritt nicht (erwägt die Frage nicht einmal) und bleibt so gegenüber der Zentral-Problematik der ganzen literaturbezogenen Tagung abstinent. Und dies selbst vor der spannenden Frage, wie Davidsons bekanntes hermeneutisches ›principle of charity‹ (vgl. dazu S. 561) sich über dessen Diskussionsbereich normaler Behauptungssätze hinaus (und über Kobers S. 218 semiotisch erweitertes Parallelbeispiel der kollektiven Akzeptanz von Banknoten hinaus) für literarische Texte bis hin zu Nonsens-Gedichten umsetzen ließe: etwa in Gestalt der methodenstrategisch ›optimistischen Unterstellung‹, dass selbst ein Fragment des klinisch dementen Hölderlin noch irgendeine Art von Sinn machen könnte.

[31] 

Klaus Weimar: Literarische Bedeutung?
(S. 228–245)

[32] 

Schön nach den Grundsätzen des neuen Reallexikons sortiert dessen Gründungsherausgeber seine fußnotenfreien, wiewohl erkennbar belesensten Reflexionen nach dem »Wort Bedeutung« und dem »Begriff ›Bedeutung‹«, um unter zunehmender Differenzierung beider Ebenen zu dem Schluss zu gelangen, dass es weder ein spezifisch literarisch ›Bedeutetes‹ noch ein eigenständiges literarisches ›Bedeuten‹ gibt – sondern nur eine erlernte Weise des Umgangs mit erkennbar literarischen Texten. Der Beitrag unterhält dabei durch seinen unnachahmlichen Weimar-Ton des verstellten Erstaunens; bis an den Rand einer manierierten Schlichtheit, die neben entschiedenem Gewinn auch gewisse Unkosten bringt. Mit einer weniger simpel eingeteilten Suche nach den nur zwei Saussure-Polen signifiant und signifié hätte sich beispielsweise berücksichtigen lassen, dass schon Frege mindestens die drei Faktoren des Zeichens (›Name‹), des Bezeichneten (›Bedeutung‹) und seiner variablen Gegebenheitsweise (›Sinn‹) als unerlässlich erwiesen hat – und dass man nach Wittgenstein besser überhaupt nicht nach solchen semantischen Verdinglichungen fragt (was wäre denn etwa das ›Bedeutete‹ des Wortes ›oder‹?), sondern nach differenzierten Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke.

[33] 

So lässt sich zum Beispiel leicht die vorschnelle Unterstellung Weimars falsifizieren, eine Literarisches identifizierende Lektüre könne »nicht eine kurz nach dem Lesenlernen sein« (S. 239): Viele Kinder lernen heute früher Fiktion erkennen als Lesen (manche Konsumenten von TV-Soaps das Letztere bekanntlich nie), und nicht selten lernen sie das Lesen lieber an unverkennbarer Literatur wie Alice in Wonderland als an der Zeitung. Auch so gelangt man zu Weimars drei ›Quellen der Gewissheit‹ für eine literarisch jeden Wahrheits- wie Wahrhaftigkeitsanspruch suspendierende Lesehaltung: der »Wahrnehmung der poetischen Sondersprache, der Nicht-Identität von Textperson und Autor und derjenigen von Textwelt und Welt« (S. 245). Bei näherem Besehen ist man damit allerdings über Goethes exakt parallele drei »Naturformen der Dichtung« nicht hinaus – und für bekannt prekäre Grenzfälle wie Aphorismen, Essays oder Biographien wäre man mit einem differenzierungsfähigeren Modell wie Weinrichs »Codewechsel-Code« besser bedient. 15

[34] 

Mit der Frage nach unterschiedlichen Codes der Zeichenverwendung aber ließe sich das ganze Pferd der semantischen Literaturtheorie ebenso gut vom anderen Ende her aufzäumen: Wir alle haben als kulturell erworbene Einstellung den literarischen Texten gegenüber gelernt, sie nach Freges Ausdrucksweise als Äußerungen ›ohne Bedeutung, aber mit Sinn‹ zu lesen. »Herz, was willst du mehr?« (S. 245)

[35] 

Ursula Christmann / Margrit Schreier:
Kognitionspsychologie der Textverarbeitung und Konsequenzen
für die Bedeutungskonstitution literarischer Texte
(S. 246–285)

[36] 

Kaum ein größerer stilistischer Gegensatz wäre denkbar als zwischen Weimars betont exoterischem Plauderton und dem mit terminologischem Sperrfeuer armierten Fachjargon, in dem sich hier zwei Schülerinnen / Mitarbeiterinnen des bedeutenden Literaturpsychologen Norbert Groeben 16 den gleichen Sachverhalten nähern – und teilweise bei ganz ähnlichen Resultaten landen (man lese ihr kurzes »Fazit« im Vergleich zu den einleitenden Präliminarien des vorigen Beitrags). Charakteristisch dafür ist das Verhältnis von acht Seiten Literaturliste hier gegen null Titeln dort. Aber wenn man sich einmal lernbereit durch die grundlegenden Abschnitte zur kognitivistischen Sicht normalsprachlicher Bedeutungserzeugung durchgearbeitet hat, stößt man im Kapitel »3. Konsequenzen für die Bedeutungskonstitution literarischer Texte« gleich einleitend (S. 264 f.) auf haltloseste Verallgemeinerungen – etwa »dass pragmatische Texte primär darauf abzielen, Informationen über die reale Welt zu vermitteln«. Das ist schon insoweit mehr als fraglich (Informationsvergabe ist ein spezialisierter Ausnahmefall alltäglicher Sprachverwendung) – und erst recht das Folgende: »Literarische Texte konfrontieren die Leser/innen dagegen mit alternativen Weltmodellen; um sie zu verstehen, ist es daher erforderlich, über die Strukturen der realen Welt hinauszugehen.« Ob ich nun an Liebesgedichte wie Shakespeares Sonette, an Geschichtsdramen wie Büchners Dantons Tod oder an Simenons Maigret-Krimis denke: Auf nichts davon trifft das Gesagte zu – und auch nicht die ergänzend unterstellte »Loslösung von der alltagssprachlichen Syntax«. Ganz offenkundig treffen wir hier wieder einmal auf die mit hohem intellektuellem Detail-Aufwand betriebene Übersetzung banaler und oft banal falscher Klischees über »die Literatur« in eine fremde Fachsprache.

[37] 

Als Hauptpunkte werden dabei angeboten: der »Stellenwert elaborativer Inferenzen (3.1.), die Rolle des Leserfaktors ( […] 3.2.) sowie die Funktion emotional-evaluativer Prozesse (3.3.)« (S. 265). Als Theorie-Basis dient dabei solch anderweitig gut eingemotteter Unsinn wie S. J. Schmidts ›Ästhetik-‹ und ›Polyvalenz-Konventionen‹, nämlich »dass nicht-literarische Verstehenshandlungen im Alltag einerseits und literarische Verstehenshandlungen andererseits durch je unterschiedliche Konventionen geregelt sind« (S. 268). In vorhergehenden Beiträgen des Bandes wie denen von Zymner, Sell oder Weimar wurde dergleich längst mit zwingenden Argumenten widerlegt: Wären literarische Verstehensprozesse geregelt (und nicht nur sonstige Regeln suspendiert), so würden sie geregelte und systematisch vorhersagbare Verstehensresultate herbeiführen (das wird aber auch hier in 3.2. als unzutreffend eingeräumt). Was nun den Beitrag der zahlreich angeführten (aber nach S. 277 noch immer mangelnden) empirisch-psychologischen Erhebungen angeht, so fragt man sich wieder einmal, wozu man denn solche demoskopische Windmacherei braucht, nur um (z.B. anhand Science-Fiction-Literatur?) zu ermitteln, dass »die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung – wie in der Ästhetik-Konvention angenommen – das Wahrheitskriterium bei der Beurteilung für irrelevant erachtet« (S. 269). Wie viel mehr eine Kognitivistische Literaturwissenschaft leisten kann, wenn sie textnah und differenziert vorgeht, kann man im Vergleich dazu an neueren Arbeiten etwa zur Stilistik, zur Erzählanalyse oder zur Humorforschung ablesen. 17

[38] 

Tom Kindt / Hans-Harald Müller:
Wieviel Interpretation enthalten Beschreibungen?
Überlegungen zu einer umstrittenen Unterscheidung am Beispiel der Narratologie (S. 286‑304)

[39] 

Fragestellung und Ansatzpunkt dieses – insgesamt dankenswert klar und luzide geschriebenen – Beitrags sind für einmal durch den Titel genau umrissen. Es geht um das ›Basisproblem‹ literarischer Bedeutungszuweisung, um das Verhältnis neutraler Deskription zu substanzieller Interpretation. Ob dabei alle diskutierten Einwände wirklich das Zentralproblem betreffen, erscheint mir fraglich. Die von Danto unterstrichene »Theorieimprägniertheit von Beobachtungen« (S. 287 f.) darf seit Popper und Hempel als generelles wissenschaftstheoretisches Axiom gelten – das schränkt ja deren intersubjektive Nachvollziehbarkeit nicht ein und berührt insoweit nicht die andersartige Frage wissenschaftlicher Geltung von Textinterpretationen. Und dass es nach Danto »keine neutrale Weise gibt, es [ein Kunstwerk] zu sehen«, beschreibt richtig die individuelle Appellstruktur bedeutungsoffener Kunst für den Akt primärer Rezeption, schließt dann aber keineswegs ›neutrale Informationen‹ über ein Kunstwerk im Rahmen literaturwissenschaftlichen Kommentars aus. Und gar nicht in den Blick nehmen die Verfasser jene Menge neutraler, aber interpretativ relevanter Sachverhalts-Beschreibungen, die nicht bei Merkmalen des Einzelwerks stehen bleiben, sondern bestehende Relationen konstatieren: Dass der Refrain von Brechts Liturgie vom Hauch mit einigen viel zitierten Versen aus Wanderers Nachtlied (2) von Goethe fast übereinstimmt, sie aber verdreht (»Über allen Wipfeln…In allen Gipfeln«), das ist insoweit ein ebenso interpretationsfreier wie für jedwede Deutung entscheidender Fakten-Hinweis.

[40] 

Am Beispielfeld der Erzähltheorie machen die Autoren deutlich, dass man dafür jedoch stets differenziert hinschauen muss: Genettes »Unterscheidung zwischen homo- und heterodiegetischen Narratoren« ordnen sie als ›interpretationstheoretisch unverfänglich‹ ein, Booths prima facie ähnlich neutral aussehende Dichotomie von »zuverlässigen und unzuverlässigen Erzählern« jedoch als bereits normativ interpretierend (S. 295 f.). So kommen sie insgesamt zu einem eher skeptischen Resümee:

[41] 
Interpretationen sind durch die Textdaten, die ihnen zugrunde liegen, stets unterdeterminiert. […] Unserer Auffassung nach […] eignet sich die Narratologie weder für die Fundierung noch für die Falsifikation von Interpretationen. Was die Narratologie für die Textanalyse [sic – eine Metabasis eis allo genos!] gleichwohl unverzichtbar [sic] macht, ist ihr heuristisches Potenzial. (S. 301)
[42] 

Das ist vielleicht denn doch etwas sehr bescheiden gedacht –›heuristisch anregend‹ kann ja erfahrungsgemäß auch jede textferne Spekulation sein!

[43] 

Fotis Jannidis:
Polyvalenz – Konvention – Autonomie
(S. 305–328)

[44] 

Dem weit verbreiteten, aber selten und dann ganz uneinheitlich begründeten Topos von der ›Vieldeutigkeit‹ aller Literatur begegnet Jannidis zunächst mit einer begrifflichen Differenzierung. 18 Auf dieser Grundlage kritisiert er dann scharfsinnig drei Versionen der Ambiguitäts-These an je einem Vertreter – leider nicht gerade den stärksten Repräsentanten 19 der jeweiligen Position:

[45] 

1. Die These prinzipieller Vieldeutigkeit aller sprachlichen Kommunikation verficht zum Beispiel Stanley Fish – freilich mit Argumenten, die man weniger simplifizierend schon in der Konzeption vom Sprachspiel als ›Lebensform‹ beim späten Wittgenstein finden kann und die wesentlich differenzierter in der kognitivistischen ›Frame Theory‹ expliziert werden. 20 Dort allerdings geht es ohne die wilden Verallgemeinerungen Fishs ab, »schüttet er wohl doch das Kind mit dem Bade aus« (S. 313) und kann insbesondere in keiner Weise erklären, warum Romane noch immer auf andere Weise ›mehrdeutig‹ sind als historische Chroniken – und warum professionelle Literaturwissenschaftler (durchweg und ausnahmslos, wiewohl ungern eingestanden) de facto noch immer Unterschiede zwischen mehr oder weniger adäquaten Textinterpretationen machen (etwa im Rahmen von Prüfungen, Fachgutachten, Rezensionen oder auch nur implizit durch Einladung zu Tagungen).

[46] 

2. Für die Annahme von »Vieldeutigkeit als Konvention literarischer Kommunikation« wählt Jannidis ausgerechnet S. J. Schmidt aus – und erledigt erwartungsgemäß seine Theorie mit dem hier stets greifenden Standard-Einwand: »Das gewählte Beispiel und die Definition passen nicht zusammen« (S. 315).

[47] 

3. Paul Ricœurs These einer poesiespezifischen »Vieldeutigkeit als Merkmal literarischer Texte« auf der Basis seiner »Überlegungen zum besonderen Status von geschriebenen literarischen Werken« (S. 316 f.) greifen gleichfalls zu kurz: »Die Annahme, dass allein durch die Verschriftlichung die Spuren des Autors in der sprachlichen Äußerung verschwinden, ist wohl nicht haltbar« (S. 320). Und sie verfehlt auch deutlich das Beweisziel: Dichten ist nicht Schreiben – eine zentralafrikanische Volksballade wird ja nicht erst durch nachträgliche Verschriftlichung zum Gedicht (siehe unten den Beitrag von Ruth Finnegan!).

[48] 

Eine diskutierenswerte Alternative zu solcherart verengten Positionen bietet Jannidis dann auf der Grundlage des Konzepts graduell abstufbarer manifestness of informations von Sperber / Wilson an: »Die Generierung unendlicher Eindeutigkeiten ist auf das Vorhandensein einer endlichen Zahl von schwach manifesten Informationen zurückzuführen.« (S. 324) Daraus könnte ein fruchtbares Explikat werden für literaturtheoretisch geläufige Explicanda wie die, dass literarische ›Färbungen‹ oder Konnotationen dem Leser oft nicht mehr als ›einen Wink geben‹ oder ihm ›eine These zu verstehen geben‹, sie ›exemplifizieren‹ oder ›zeigen‹, statt sie auszusprechen. Offen bleibt im Beitrag einstweilen, wie solche literarische Abstufung von manifester Information geschieht: Keineswegs alle poetischen Normabweichungen betreffen die semantische Ebene. 21 Aber alle haben semantische Folgen.

[49] 

Simone Winko:
Über Regeln emotionaler Bedeutung in und von
literarischen Texten (S. 329‑348)

[50] 

Die Beiträge des Ehepaars Winko-Jannidis ergänzen sich in gewisser Weise: Dort ›Informationen‹ und ihre manifestness, hier die weiterführende Frage, »auf welche Weise sich Emotionen überhaupt in literarischen Texten manifestieren können« (S. 330) – insofern auch dies in rational nachvollziehbarer, ja Regel geleiteter Weise bestimmt werden soll, ist das fast schon der Versuch einer Quadratur des Kreises (die sensationell gut gelingt). Aufgrund minuziöser Kritik an einseitig ›emotivistischen‹ Bedeutungstheorien (bzw. an ihrer »autorintentionalistischen, oder einer leserpsychologischen Lesart«, die »in emotivistischen Ansätzen vermengt« werden: S. 334) wie auch an einseitig ›kognitivistischen‹, genauer: propositional-deskriptivistischen Bedeutungstheorien (denen die integrierenden Ansätze von Goodman und Gabriel entgegengehalten werden) entwickelt Winko ihren Vorschlag einer literaturwissenschaftlich diskutierbaren »emotionalen Bedeutung« von Literatur (S. 343). Denn: »Emotionen sind kulturell kodiert. […] Kulturell geprägte, typisierte Emotionen sind in literarischen Texten sprachlich sowie in den Themen, Motiven und Situationen präsent, die in den Texten dargestellt werden« (S. 338). Selbstredend bringt der kurze Beitrag noch keine ausgearbeitete Theorie, 22 sondern zunächst eine Reihe zentraler Adäquatheits-Bedingungen dafür. Zu diesen aber gehört endlich einmal, was in anderen Beiträgen des Bandes schon als fehlend eingeklagt werden musste: die indirekt steuernde Zentralfunktion von »Relationen«, von »Parallel- und Kontrastbeziehungen« (S. 340). Der konzeptuell mutige und sprachlich in glanzvoller Nüchternheit gehaltene Beitrag endet so nicht nur in einem klaren methodologischen Postulat (sc. »die literarische Gestaltung von Emotionen systematisch zu berücksichtigen«), sondern auch in einer entschiedenen Defence of Poesie gleichsam auf den Spuren von Sir Philip Sidney: alldieweil Literatur nämlich prinzipiell »zur Präsentation emotionaler Phänomene über […] die Möglichkeiten nicht-literarischer, vor allem nicht-fiktionaler Texte hinausgeht« (S. 345).

[51] 

Uta Schaffers:
Fremde – Literatur – Verstehen?
Fragestellungen einer Interkulturellen Hermeneutik
(S. 349‑375)

[52] 

Am Musterfall des japanischen Haikus und einiger deutscher Übersetzungs- oder Vermittlungsbemühungen 23 erweitert die einschlägig erfahrene Verfasserin das Problemfeld auf Schwierigkeiten fremdkulturellen Literaturverstehens. Das Beispiel ist gewiss in vielem instruktiv – so erfährt man, dass die originale Haiku-Kalligraphie »auch für die Mehrzahl japanischer Rezipienten nicht ohne weiteres ›lesbar‹« ist: »Auch in Japan werden klassische Haiku nur selten unkommentiert […] präsentiert«, sondern gleich unter »Anreicherung des Lese- und Interpretationsprozesses mit Informationen über den historischen und kulturellen Kontext« (S. 364–366). Gerade darin zeigt sich aber das entscheidende Manko des Beitrags: Es wird in keiner Weise klargestellt, worin denn hier das Besondere liegen sollte und was überhaupt unter einer »als fremd empfundenen Kultur« (S. 351) zu verstehen ist. Wo beginnt die interkulturelle Fremdheit? für Deutsche in der Schweiz? für einen Romand im deutschsprachigen Quartier Fribourgs? für einen Bayern in Hamburg? für einen Wessi unter Ossis? für eine postmoderne Leserin beim Minnesang? Die S. 371 exemplarisch angeführten ›Jahreszeiten‹ etwa sind ja nicht nur in Japan anders als in Europa – der Frühling stellt auch in Portugal etwas ganz anderes dar als im gleichermaßen christlichen, abendländischen, indogermanischen und zur EU gehörigen Nordschweden!

[53] 

Die (als »unverzichtbare Notwendigkeiten«, S. 355) angeführten Verfahrensschritte bei ›interkulturellem‹ Literaturverstehen (ebenso wie die Kombination von ›Textvorgabe, Vorwissen, Weltwissen und Sprachwissen‹ und das hier erneut umschriebene principle of charity: es »muss zunächst einmal das Vorhandensein von Sinn unterstellt werden«, S. 351 f.) sind nämlich genau dieselben wie immer bei der Rezeption literarisch intensivierter Texte: »Der Rezipient liest in das Unvertraute Vertrautes hinein und eignet es sich, soweit es geht, an: Er füllt die – vermeintlichen – Leerstellen, die der Text ihm bietet, mit seiner Erfahrungswelt und übersetzt die sperrigen Textstellen als ungewöhnliche Darstellung von eigentlich Vertrautem. Das Andere wird angeeignet, assimiliert.« (S. 353) ‑ So what?

[54] 

Ruth Finnegan: Where is the meaning? The complexities of oral poetry and beyond (S. 384–400)
Herbert Willems / Marianne Willems: Soziologische Zugänge zur Bedeutung von Medientexten (S. 401–430)
Rainer Winter: Polysemie, Rezeption und Handlungsmächtigkeit. Zur Konstitution von Bedeutung im Rahmen von Cultural Studies
(S. 431–453)
Roger Lüdeke: Materialität und Varianz. Zwei Herausforderungen eines textkritischen Bedeutungsbegriffs (S. 454–485)
Lawrence Kramer: Haydn’s Chaos, Schenker’s Order; or, Musical Meaning and Musical Analysis: Can They Mix? (S. 486–511)
Anke-Marie Lohmeier: Filmbedeutung (S. 512–526)
Gerhard Lauer: Die zwei Schriften des Hypertexts. Über den Zusammenhang von Schrift, Bedeutung und neuen Medien (S. 527–555)

[55] 

Die sieben Beiträge zum dritten Hauptteil »Medienwissenschaftliche Aspekte der Bedeutung«, [ein]geleitet von Fotis Jannidis, stehen naturgemäß in einem entfernteren und in sich recht uneinheitlichen Verhältnis zur übergreifenden Leitfrage nach der spezifisch literarischen Bedeutungskonstitution und nach Grenzen ihrer literaturwissenschaftlichen Interpretation. Noch am nächsten dran bleibt Ruth Finnegan mit ihrem Blick auf weltweite Traditionen mündlicher Dichtung und mit ihrem »plea for adding ›emotive‹, ›embodied‹ of ›performative‹ dimensions into our concept of meaning« (S. 397); wie sehr ein solches Plädoyer am Platze ist, braucht man nicht einmal wie hier durch exotische Verweise auf jamaikanische oder zentralafrikanische Poesiedarbietungen, auf Yoruba, Dinka oder Xhosa bzw. auf ›medieval England and France‹ zu unterstreichen, sondern könnte ähnlich überzeugend auf die aktuell sich ausbreitenden jugendlichen ›Poetry Slams‹ eingehen – oder auf den verblüffenden Verkaufserfolg von ›Hörbüchern‹ als womöglich bald dominierenden Primärmedien für die Begegnung mit dichterischen Texten (weit über den audiospezifischen Bereich von ›Hörspielen‹ hinaus).

[56] 

Gleichsam komplementär dazu analysiert Gerhard Lauer in seinem Beitrag die gedoppelte Schriftlichkeit des Internets (banale Kulturtechniken wie das Umblättern müssen jetzt z.B. in html oder besser nach TEI codiert werden, was durchaus politische Probleme der Definitions- und Zugriffsmacht implizieren kann); das resultiert in einer scharfsinnigen und historisch reflektierten Entzauberung mancher Mythen vom ›Ganz Neuen‹ am Hypertext-Gebrauch (»Indices und Bibliothekskataloge […] haben schon im Druckzeitalter ›Sprungmarken‹ gesetzt«, S. 539) und insgesamt in dem Zentralbefund: »Weder durch Nicht-Linearität, noch durch Interaktivität, Virtualität oder Multimedialität sind andere oder neue Regeln der Zuordnung von Schrift und Bedeutung erkennbar.« (S. 543) ‑ Freilich: »Den Ursprungstext gibt es nicht mehr« (S. 537) – gerade um den aber hat sich traditionell die Editionsphilologie bemüht, zu deren theoretischer Neuperspektivierung der Text von Roger Lüdeke beitragen will: Die Kategorie der ›Materialität‹ semiotischer Komponenten ist gleichzeitig in der Textkritik, in der Komparatistik und in der allgemeinen Kulturwissenschaft problematisch geworden, und so unternimmt es der Beitrag, »am Beispiel der Revisionspraxis von Henry James« die »insbesondere im poststrukturalistischen Bezugsrahmen entwickelte These einer prinzipiellen Instabilität und Beweglichkeit von Bedeutung zu hinterfragen« (S. 459).

[57] 

Mit der bedeutungskonstituierenden Rolle spezifischer Materialität hat es auch der Beitrag der (literaturwissenschaftlich geprägten, d.h. an Topoi wie dem ›hermeneutischen Zirkel‹ und der ›kohärenten Werkaussage‹ festhaltenden) Filmsemiotikerin Anke-Marie Lohmeier zu tun, die dabei zu Recht zwischen zwei Zeichenebenen unterscheidet – sie aber nach meinem Eindruck ausgesprochen unglücklich benennt und reichlich verworren expliziert: zwischen »der Darstellungsebene und der Abbildungsebene« (S. 513). Die Erstgenannte könnte passender ›Ebene des Dargestellten‹ heißen (sc. alle denotativen Informationsvergaben umfassend), die Letztere betrifft alle bedeutungsverändernden Aspekte der apparativ-filmtechnischen Vermittlung dieser szenisch-fiktiven Sachverhalte (so wie ein- und dieselbe Opern-Aufführung akustisch wie optisch auf ganz unterschiedliche Weise ins Fernsehen gebracht werden kann).

[58] 

Dieser Komplex wird dann aufgeschlüsselt nach ausgewählten Teil-Aspekten wie Kameraführung und Montage (aber die Charakterisierung dieser Ebene als ›narrativ‹ bringt erneut mehr Begriffsverwirrungen als Klärungen hervor, zumal dann S. 523 auch noch ein untergeordneter Einzelaspekt als »narrative Montage« im Sinne eines chronologischen ordo naturalis benannt wird). ‑ Grundsätzlich umstritten ist demgegenüber seit langem die gern unterstellte Eigenbedeutung von Musik. In seinem (im Kern bereits zwölf Jahre alten 24 ) Beitrag verkündet der Anglist [!] Lawrence Kramer eine allgemeine Rückwendung zur Bedeutungsanalyse als »the new musicology« (S. 487) und versucht seine Position »that musical meaning is not extramusical, not secondary, and not […] merely ›subjective‹« (S. 488) durch eine Auseinandersetzung mit Heinrich Schenkers altüberlieferter Ausdeutung der Chaos-Musik in Haydns Schöpfung zu untermauern. Nichts daran ist gerade angesichts solcher Text-Vertonung geeignet, mich von meinem vermittelnden Vorschlag einer rein interpretativen musikalischen Semantik abzubringen. 25

[59] 

Der Medientheoretiker Rainer Winter zeichnet in seinem informativen Beitrag die theoriegeschichtliche Entwicklung der (immer auch politisch-kritisch engagierten) ›Cultural Studies‹ nach – von der ›Birmingham School‹ mit Stuart Halls encoding-decoding-Modell über die innermarxistischen Diskussionen zwischen Althusser, Gramsci und Vološinov bis hin zur Screen-Filmtheorie und zu John Fiskes Bemühungen um eine Anwendung Derridas auf ernsthafte Fragen der Analyse von Medienmacht und kritischer Medienrezeption. Abschließend kritisiert Winter die Popularitäts-Konzeption Fiskes und ihre »vereinfachenden Gleichsetzungen« (S. 449), plädiert stattdessen für eine Neubestimmung der »Cultural Studies als kritische Medienpädagogik« (S. 450).

[60] 

Auf wesentlich allgemeinerer Ebene versucht der gleichfalls mediensoziologische, innerhalb wie außerhalb des Bandes überaus anschlussfähige Ansatz von Willems & Willems, mit Hilfe eines über dramatische Fiktion hinaus erweiterten Begriff von »Theatralität« (als Explikation der Feuilleton-Metapher von der öffentlichen [Selbst-]Inszenierung) an literarisch-medialen Produktionen »auch das Individuelle, Mehrdeutige, Emotionale und Unwillkürliche zu erfassen« (S. 402) – was mit angebotenen Pauschalbegriffen wie Foucaults »Diskurs und Dispositiv« (S. 404) oder gar Luhmanns Kategorien vermengender »Semantik der Gesellschaft« (S. 406) kaum gelingen wird; eher schon mit Bourdieus Konzept des multifaktoriellen »Feldes« und seinem Dispositionsbegriff des »Habitus«, der ›Handlungsstile‹ und ›Inszenierungs-Rahmen‹ (Goffman) definiert und so jeweils historisch variable Grenzen von Interpretations-Spielräumen setzt (S. 412), also eine differenzierte Antwort auf die Leitfrage der ganzen Tagung anbietet.

[61] 

Karl Eibl: Vergegenständlichung. Über die kulturstiftende Leistung der Menschensprache (S. 566–590)
Peter Strohschneider: Unlesbarkeit von Schrift. Literaturhistorische Anmerkungen zu Schriftpraxen in der religiösen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts (S. 591–627)
Bernhard F. Scholz: Konstruktionen des Sichtbaren. Frühmoderne Regeln der Bedeutung, am Beispiel der Darstellung des Figurengedichts in den Poetiken Julius Caesar Scaligers und George Puttenhams (S. 628–643)
Lutz Danneberg: Besserverstehen. Zur Analyse und Entstehung einer hermeneutischen Maxime (S. 644–711)
Renate von Heydebrand: Gender als Faktor in der Bedeutungskonstitution von literarischen Texten (S. 712–733)

[62] 

Die fünf – in sich durchweg schwergewichtigen – Beiträge des Schlussteils sind angesichts ihrer Uneinheitlichkeit mit »Historische Aspekte literarischer Bedeutung« nicht ganz passend überschrieben (und werden von Gerhard Lauer etwas gesucht kurios bis schräg eingeleitet). Will man sie gleichwohl historisch anordnen, so greift Peter Strohschneiders Mittelalter-Exemplifikation (zugleich fußnotenreich und vielbezüglich, von Taliban bis Derrida und Love-Parade) am weitesten zurück. Manche Einsicht erscheint gerade deshalb als willkommene Korrektur gegenüber vielen allzu ›neuzeitlich‹ verallgemeinernden Tagungsbeiträgen – etwa anhand der Alexius-Legende Konrads von Würzburg in ihrer quasi-autobiographisch wie autographisch beglaubigenden Erzählkonstruktion: »Polysemie und Polyvalenz als Textmerkmale sind durch ein solches Konzept ebenso ausgeschlossen, wie die darauf beruhende Möglichkeit der Strittigkeit von Bedeutungszuweisungen.« (S. 608) – Die poetikgeschichlichen Rekonstruktionen von Bernhard F. Scholz zur Figuralpoesie der frühen Neuzeit bereichern das historische Spektrum weiter, wurden aber ausführlicher schon an anderer Stelle präsentiert und besprochen. 26

[63] 

Die Überlänge des Beitrags von Lutz Danneberg (mit allein zehneinhalb Seiten Bibliographie) wird man nicht nur wegen der Qualitäten des logisch scharfsinnigen wie historisch materialreichen Textes gern hinnehmen; sondern auch, weil man so wenigstens einen weiteren Teilbestand aus der Schatzkammer von Dannebergs noch immer ungedruckten Habilitationsschrift Hermeneutiken publiziert findet. Gewiss mehr als lohnend präsentiert sich hier sein an Seitenblicken reicher historischer Durchgang zum Topos vom ›Besser Verstehen als der Autor‹ (im ewigen Streit mit dem Ideal der interpretatio authentica) von Luther und Erasmus über Kopernikus und Giordano Bruno zu Leibniz, Thomasius und Chladenius und schließlich bis zu Kant und seinen idealistischen Schlechterverstehern Fichte, Schlegel, Hegel und Schleiermacher. Und für die Sachfrage der Tagung ergibt sich unter manch anderem die Einsicht in die theologisch-hermeneutische Fundierung auch des literaturwissenschaftlichen Disputs um die Grenzen der Interpretation: »Die Einschränkung gegenüber einer willkürlichen Sinnvielfalt öffnet zugleich das gleichsam unbegrenzte Sinnpotential der Heiligen Schrift« (S. 698).

[64] 

Nicht eigentlich historisch, sondern allenfalls ›naturgeschichtlich‹ argumentiert Karl Eibl in seinen Überlegungen im Horizont der zuletzt schrittweise von ihm ausgearbeiteten ›Biopoetik‹ als Verbindung zwischen Literaturwissenschaft und Humanbiologie. 27 Zwar müssen erhebliche Teile der von ihm als Voraussetzung referierten Säugetier-Kommunikationsforschung inzwischen umgeschrieben werden, seit kürzlich ein Hannoveraner Border-Collie nachweislich aus purer Spielfreude (also ohne jeden Evolutionsdruck) über 300 Plüschtiere nach ihrer menschlichen Benennung unterscheiden gelernt hat (und Boole’sche Ausschluss-Operationen mit diesen – gegen S. 570 / 576 eben doch rein ›vergegenständlicht‹ ausdifferenzierten – Wörtern durchführen kann). Aber das tangiert nicht Eibls literaturtheoretisch relevante These von der evolutionär bedingten poetischen »Selbst-Vergegenständlichung« durch literarische Fiktion oder Lyrisches Ich (S. 583–586) und von »den angeborenen epischen Schemata [wie dem »Schema des Geschlechtsverkehrs«, der »abenteuerlichen Suche«, der »Aufdeckung des Unbekannten« oder des »Rivalenkampfs«], mit denen wir die Welt, d.h. unsere Informationen strukturieren […] Insofern sind wir alle Dichter« (S. 578 f.). Und schon gar nicht vermindert es die Berechtigung von Eibls eloquent ironisierter Warnung vor den Gefahren solcher literarisierten Vergegenständlichung als »Einfallspforte für ideologische Zuschreibungen« wie vor animistischen Redeweisen neuerer Modetheorien: »Wer sich einmal auf das ›Begehren des Signifikanten‹ eingelassen hat, wird so schnell vor nichts mehr zurückschrecken.« (S. 587)

[65] 

Ähnlich skeptische Anmerkungen Eibls zur Annahme des geschlechtsspezifischen Erzählschemas einer ›Mädchentragödie‹ (S. 581 f.) finden gleichsam ein Echo in Renate von Heydebrands kritischer Nachfrage gegenüber der gängigen Unterstellung von gender- oder gar sex-begründeten Unterschieden in der »Analyse von Bedeutungskonstitutionen durch nicht-professionelle Leser und Leserinnen« (S. 713; das Fehlen entsprechender Untersuchungen »nicht auch für das Schreiben« wird S. 714 zu Unrecht 28 beklagt). Zur Überprüfung für das späte 18. Jahrhundert dienen ihr – im Zusammenhang eines Münchner Forschungsprojekts – persönliche Lesezeugnisse 29 aus dem Umfeld Goethes und Jean Pauls. Dabei zeigt sich, dass weit stärker als das Geschlecht der Lesenden die Nähe entweder zur ›fortschrittlichen‹ Autonomie-Ästhetik der Goethezeit oder aber zur auf »Unterhaltung, Rührung, Belehrung« setzenden Normpoetik von Aufklärung und Empfindsamkeit maßgeblich wirkt (S. 718 f.). Und insgesamt ergeben sich aus der unvoreingenommenen Überprüfung solcher Dokumente erhebliche Zweifel an feministischen Forschungsthesen wie an fröhlichen Unterstellungen Fr. Kittlers: »Die Analyse der in den Briefen dokumentierten Prozesse der Bedeutungsbildung widerlegt auch dieses Vorurteil des Geschlechterdiskurses« (S. 724). Oder zusammenfassend:

[66] 
Die vom zeitgenössischen Diskurs unterstellte strikte Polarität der Geschlechter […] wird […] vom Material nicht bestätigt. […] Das Material zeigt bei Männern wie bei Frauen das ganze Spektrum von Diskurskonformität bis zu totaler Abweichung von dessen Regeln. […] Offenbar liegt hier ein Forschungsdesiderat vor. (S. 730 f.)
[67] 

Fazit

[68] 

Ein alles in allem so vortreffliches Buch verdient einen so vortrefflichen Abschluss, wie ihn der Beitrag von Heydebrands darstellt. Denn bei aller Schwankungsbreite im Einzelnen dürfte dieser Sammelband an theoretischer Wucht und interdisziplinärer Vielfalt auf seinem Themengebiet derzeit kaum seinesgleichen finden. Und wenn mir zum Schluss noch ein persönliches Wort erlaubt ist: Es freut einen alten Sämann, wenn er gelassen zuschauen darf, wie auch in widrigen Zeitläuften eine Saat so gut aufgeht.


Prof. Dr. Harald Fricke
Universität Freiburg / Schweiz
Department Germanistik
Av. de l'Europe 20
CH - 1700 Fribourg

Ins Netz gestellt am 14.10.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Stefan Matuschek. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Julia Ebeling.

Empfohlene Zitierweise:

Harald Fricke: Analytische Literaturwissenschaft jenseits methodologischer Richtungskämpfe. (Rezension über: Fotis Jannidis u.a. (Hg.): Regeln der Bedeutung. Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2003.)
In: IASLonline [14.10.2004]
URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=568>
Datum des Zugriffs:

Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.


Anmerkungen

hier S. 26; die DFG-Tagung schließt offenkundig an eine vorige am gleichen Ort und mit demselben Veranstalter-Quartett (wiewohl noch nicht in dieser neuen, viel versprechenden Reihe publiziert) an: Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matías Martínez / Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen 1999. Deutlich auch die Orientierung an Albrecht Schönes Organisationsmodell der ›Germanistischen Symposien der DFG‹ mit ihren vier Tagesforen und Kuratoren, insbesondere an: Christian Wagenknecht (Hg.): Terminologie der Literaturwissenschaft. Stuttgart 1989; sowie an: Vom Umgang mit Literatur und Literaturgeschichte. Positionen und Perspektiven nach der »Theoriedebatte«. Hg. von Lutz Danneberg und Friedrich Vollhardt in Zusammenarbeit mit Hartmut Böhme und Jörg Schönert. Stuttgart 1992.   zurück
Das Register ist freilich von technischen Fehlern durchsetzt: Wolfgang Dressler z.B. kommt – mit leicht divergierenden Beleg-Reihen – gleich zweimal vor (als »Wolfgang Ulrich« bzw. »Ulrich Wolfgang«), dafür Michael Titzmann überhaupt nicht (obwohl z.B. S. 19 und 30 zitiert); der gesondert aufgeführte »Charles Lakoff« ist gegen S. 166 natürlich identisch mit dem laufend genannten Kognitivisten George Lakoff, während der moderne Historiker Wolfgang Reinhard keineswegs identisch ist mit Goethes Briefpartner Karl Friedrich von Reinhard, dessen sämtliche Belegstellen ihm mit zugeschlagen werden (und dann über den Vornamen auch gleich die von Reinhard Fiedler auf S. 347). Ricœur (öfter auch Ricoeur geschrieben) wird nur für S. 317 statt für das ihm ganz gewidmete Unterkapitel S. 317–321 registriert. – Auf unachtsame Redaktions- und Korrekturarbeit weist auch ein Fehler wie der hin, dass man S. 39 in der Fußnote 15 verwiesen wird auf »s.u. S. 25«: offenkundig ein so aus dem Manuskript stehen gebliebener Binnenverweis (und der in Anm. 20 dann angepasste »Vgl. unten S. 65 f.« stimmt auch nicht genau, insofern S. 66 schon das Literaturverzeichnis des Beitrags von Strube steht [recte also: S. 64 f.]. Schwerwiegender als solche Pannen oder als häufige Trenn-Unfälle (z.B. S. 73, 122, 345, 481) bzw. stehen gebliebene Trenn-Steuerzeichen (besonders störend im Beitrag von Bühler, z.B. S. 171, 181), hilflose Versuche zur Wiedergabe griechischer Wörter (z.B. S. 601) und offensichtliche Schreibversehen (z.B. S. 112, 139, 141, 156, 630; besonders störend im Herausgeber-Beitrag von Jannidis, z.B. S. 306–308 oder S. 322, und von Lauer, z.B. S. 560–563 sowie gleich viermal auf S. 542; unhöflicherweise S. 752 sogar »Finnigan« für die Beiträgerin Ruth Finnegan) [ver]stört es, wenn man z.B. S. 220 erfährt, dass Gottlob Frege noch 70 Jahre nach seinem Tod ein Buch über Wittgenstein geschrieben hat (das in Tat und Wahrheit vom Beiträger Michael Kober selber stammt). Hat sich unter immerhin vier HerausgeberInnen denn niemand für die Schlusskorrektur verantwortlich gefühlt?   zurück
Franz Koppe: Sprache und Bedürfnis. Stuttgart-Bad Cannstatt 1977; zur philosophischen Kritik dieser Fehlkonzeption von Literatur als Bedürfnisanstalt vgl. Harald Fricke: Wie, was und zu welchem Ende ›bedeutet‹ Literatur? Neue sprachphilosophische Ansätze zu einer poetologischen Semantik. In: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 234. Jahrgang (1982), S. 116-134.   zurück
Werner Strube: Analytische Philosophie der Literaturwissenschaft. Definition, Klassifikation, Interpretation, Bewertung (Explicatio 3) Paderborn 1993.   zurück
Gottlob Frege: Logische Untersuchungen. Hg. von Günther Patzig. Göttingen 1966, S. 117 f.   zurück
Gottfried Gabriel: Fiktion und Wahrheit. Eine semantische Theorie der Literatur, Stuttgart-Bad Cannstadt 1977, S. 91 und allgemein S. 86–102.   zurück
Vgl. Harald Fricke / Willie van Peer Art: Linguistische Poetik. In: Harald Fricke / Klaus Weimar u.a. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. 3 Bde. Berlin, New York 1997-2003. Bd. 2, S. 429-432.   zurück
Ausgeführt in Roger D. Sell: Mediating Criticism: Literary Education Humanized. Amsterdam, Philadelphia 2001.   zurück
Vgl. in ähnlichem Sinne Harald Fricke: Interpretation, Kommentar, Terminologie. Methodologische Anmerkungen aus der Arbeit am neuen ›Reallexikon‹. In: Peter Wiesinger / Hans Derkits (Hg.): Zeitenwende – Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert (Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000) Bd. 8, S. 303–310.   zurück
10 
Nach Erwin Leibfried: Kritische Wissenschaft vom Text. Stuttgart 1970, S. 111 f.   zurück
11 
Harald Fricke: Literaturtheorie und gelbe Zettel. Zur Neuedition von Goethes Spruchprosa. In: Goethe-Philologie im Jubiläumsjahr – Bilanz und Perspektiven. Hg. von Jochen Golz. Beihefte zur Zeitschrift editio 16. Tübingen 2001, S. 55-70, hier S. 70.   zurück
12 
Rüdiger Zymner: Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel (Explicatio 2) Paderborn 1991; sowie R. Z.: Uneigentlich. In: Reallexikon Bd. 3 (Anm. 7), S. 726‑728.   zurück
13 
Axel Spree: Kritik der Interpretation. Analytische Untersuchungen zu interpretationskritischen Literaturtheorien (Explicatio 7) Paderborn 1995.   zurück
14 
Vgl. z.B. Günter Saße: Die aufgeklärte Familie. Untersuchungen zur Genese, Funktion und Realitätsbezogenheit des familialen Wertesystems im Drama der Aufklärung. Tübingen 1988 (vgl. zu diesem Punkt auch den gegenläufigen empirischen Befund von Heydebrands S. 719).   zurück
15 
Harald Weinrich: Kommunikative Literaturwissenschaft oder: De singularibus non est scientia. In: S. J. Schmidt (Hg.): Zur Grundlegung der Literaturwissenschaft. München 1972, S. 7–10.   zurück
16 
Vgl. zusammenfassend Norbert Groeben: Literaturpsychologie. In: Reallexikon Bd. 2 (Anm. 7), S. 469‑473   zurück
17 
Vgl. z.B. Elena Semino / Jonathan Culpeper (Hg.): Cognitive stylistics. Language and cognition in text analysis. Amsterdam u.a. 2002. – Joanna Gavins / Gerard Steen (Hg.): Cognitive poetics in practice. London 2003. – Ralph Müller: Theorie der Pointe (Explicatio 13) Paderborn 2003.   zurück
18 
Auf die historisch wie sachlich deutlich weiter ausgreifenden Themen-Artikel Autonomie (Vollhardt) und Ambiguität (Bode) im neuen Reallexikon (Anm. 7, Bd. 1) greift der Verfasser nicht zurück. Und mit »Unbestimmtheit« meint er vermutlich nicht Ingardens phänomenologisch wohlbestimmten Terminus der Unbestimmtheitsstelle (vgl. ebd. Bd. 2 Sprees Artikel Leerstelle), sondern im Sinne von »Mangel an Information in einer Äußerung« (S. 308) die semantische Unterbestimmtheit von Ausdrücken (vgl. ebd. Bd. 2, Artikel Überdetermination von Keck / Schulz).   zurück
19 
Nicht diskutiert wird die letztlich auf Aristoteles zurückverweisende abweichungstheoretische Tradition, die literarische Ambiguität auf Freges semantische ›Leerstellen‹ bzw. Ingardens intentionale ›Unbestimmtheitsstellen‹ bzw. dann Isers ›poetische Leerstellen‹ zurückführt (vgl. integrierend Harald Fricke: Norm und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur. München 1981, S. 84–110; sowie H. F.: Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst. München 2000, S. 54–62 und 208–217).   zurück
20 
Überblick bei Ralph Müller: Script-Theorie. In: Reallexikon Bd. 3 (Anm. 7), S. 415–417.   zurück
21 
Aufgeschlüsselt in die Abweichungs-Ebenen 2.1.‑2.12. bei Harald Fricke 1981 (Anm. 19), S. 16–62.   zurück
22 
Entschieden weiter in der Anwendbarkeit geht hier schon die gerade erschienene Habilitationsschrift: Simone Winko: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900 (ALW 7) Berlin 2003.   zurück
23 
Wesentlich gründlicher und literaturtheoretisch versierter als bei der zitierten Schriftstellerin Yoko Tawada (oder gar bei Horst Turk mit seinen Vernebelungsphrasen über »Alterisierung des Alienen […] oder Alienisierung des Alteritären«, S. 360 f.) wird dies alles freilich abgehandelt in der Wuppertaler Dissertation von Andreas Wittbrodt (Verfahren der Gedichtübersetzung. Frankfurt / Main u.a. 1995), die hier – wiewohl gleichfalls auf deutsch-japanische Literaturbeziehungen fokussiert – leider nicht beachtet wurde.   zurück
24 
Fast titelgleich publiziert zuerst in: 19th Century Music, 19 (1992), S. 3–17.   zurück
25 
»Von musikalischer ›Bedeutung‹ kann nur im Sinne einer interpretativen Semantik, gleichsam eines Bedeutungssystems zweiter Stufe die Rede sein. Die semantische Potenz der Musik wirkt sich grundsätzlich nicht als selbständig bedeutungstragend, sondern nur als bedeutungsmodifizierend aus.« Harald Fricke: Variierte Wiederholung: Rückert und das Kunstlied. In: Harald Fricke 2000 (Anm. 19), S. 75–97, hier S. 89.   zurück
26 
Besonders Bernhard F. Scholz: Figurengedicht. In: Reallexikon, Bd. 1 (Anm. 7), S. 589–591 sowie B. F. S.: Emblem und Emblempoetik. Historische und systematische Studien (ALW 3) Berlin 2002; vgl. dazu meine Rezension in: Sprachkunst 34 (2003), S. 159‑164.   zurück
27 
Vgl. jetzt zusammenführend Karl Eibl: Animal poeta. Bausteine der biologischen Kultur- und Literaturtheorie (Poetogenesis 1) Paderborn 2004.   zurück
28 
Vgl. hierzu insbesondere Doris Schafer: Schreiben Frauen anders? Klischees auf dem Prüfstand. Freiburg / Schweiz 1998.   zurück
29 
Dass es weibliche Lesezeugnisse im 18. Jahrhundert nur privat und »nur im Umkreis bedeutender Männer« gebe (S. 715), stimmt freilich nicht ganz – jetzt bequem nachzuprüfen an der Neuedition von Marianne Ehrmanns frühfeministischer Zeitschrift: Die Einsiedlerinn aus den Alpen. Hg. von Annette Zunzer (Schweizer Texte NF 15) Bern 2002.   zurück