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Kafka als Zeichner

  • Niels Bokhove / Marijke van Dorst (Hg.): Einmal ein grosser Zeichner. Franz Kafka als beeldend kunstenaar. Utrecht: Salon Saffier Saffier 2002. 99 S. EUR 18,50.
    ISBN: 90-807595-1-1.
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Wer Kafkas Tagebücher und Briefe liest, wird eher nebenbei auf seine skizzenhaften, teils unsicher-amateurhaft, teils hieroglyphisch-rätselhaft wirkenden Zeichnungen gestoßen sein. Kaum ein Leser wird ihnen dabei besondere Beachtung geschenkt, ihnen mehr als eine ornamentale Bedeutung zugesprochen haben, und auch in der Forschung wurden sie bisher kaum zum Gegenstand gemacht. Dabei ist das Thema Kafka als Zeichner lange nicht so episodisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht nur nebenbei fertigte Kafka einige Zeichnungen an; vielmehr trug sich der junge Kafka um 1905 ganz ernsthaft mit dem Gedanken, Zeichner zu werden. Er nahm Unterricht bei einer Zeichnerin (die seinem Talent allerdings eher schadete, wie Kafka im Nachhinein befand), suchte Anschluß an Künstlerkreise, namentlich an die Prager Gruppe »Die Acht« (dazu zählten unter anderen Fritz Feigl, Willy Novak, Otokar Kubin etc.), und lehnte sich an den Stil des »Japonismus« an, wie Max Brod urteilte. Wie ernst er es mit dem Zeichnen nahm, läßt sich aus einem Brief an seine Verlobte Felice Bauer erkennen, der er 1912 schrieb, er sei »einmal ein großer Zeichner« gewesen.

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Angesichts dessen ist es sehr erfreulich, daß nun Kafkas Zeichnungen in einem eigenen Band versammelt wurden. Dieser Band ist nicht etwa Teil der kritischen Kafka-Ausgabe des Fischer-Verlags, sondern von allen bisherigen Kafka-Ausgaben unabhängig: Er wurde von Niels Bokhove und Marijke van Dorst zum zehnjährigen Jubiläum der niederländischen Franz-Kafka-Gesellschaft erstellt und ist in Utrecht erschienen. Zwar sind Zeichnungen auch in den Brief- und Tagebuchbänden der kritischen Kafka-Ausgabe zu finden. Der vorliegende Band versammelt jedoch die bisher verfügbaren vierzig Zeichnungen und läßt so ein eigenes Bild von Kafka als Zeichner entstehen, auch im Bewußtsein, daß dieser Zusammenhang konstruiert ist. Was gegenwärtig verfügbar ist, befindet sich im Oxforder Kafka-Nachlaß und ist meist in der kritischen Kafka-Ausgabe ediert, wenn auch eben verstreut. Brods Sammlung der frühen Zeichnungen hingegen, mit denen sich Kafka als Zeichner zu etablieren versuchte, liegt unzugänglich in Israel im Nachlaß von Brods einstiger Lebensgefährtin Esther Hoffe und konnte auch hier nicht abgebildet werden.

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In der Tat spielt Max Brod in der Überlieferung dieser Zeichnungen eine besondere Rolle, förderte er doch sehr früh schon nicht nur Kafkas literarische, sondern auch seine zeichnerische Begabung. Seit 1903 sammelte er Kafkas Zeichnungen, selbst die beiläufigen Skizzen in Kafkas juristischen Vorlesungsnotizen. Im Jahr 1907 versuchte er sogar, seinen Stuttgarter Verleger Axel Juncker davon zu überzeugen, als Umschlagsbild zu seinem Roman Der Weg des Verliebten eine Zeichnung Kafkas zu verwenden, den er dem Verleger als »bisher ganz unbekannten Zeichner vorstellte […] den ich entdeckt habe«, wobei er die Zeichnung über alles lobte: »ich glaube, daß Sie sich kein künstlerisch wertvolleres und zugleich effektvolleres Blatt wünschen können. Es steht eigenartig – und zugleich einzigartig da – und doch voll zartem Japonismus«. Es hätte dies der Anfang von Kafkas Karriere als Zeichner sein können (wie auch Alfred Kubin oder Hugo Steiner-Prag mit teilweise vergleichbaren Zeichnungen Bücher illustrierten), doch wir wissen: dazu kam es nicht. Gewiß: ein Zeichner wurde Kafka nicht, und so schrieb er 1912 gegenüber Felice nicht zufällig im Präteritum, er sei »einmal ein großer Zeichner« gewesen und blickte auch mit einer ihm eigenen Selbstironie auf die früheren »Schmierereien« zurück. Dennoch hat Kafka nicht aufgehört zu zeichnen; noch 1916 entstand etwa eine Zeichnung zur Fesselung Isaaks. Zahlreiche der späteren Zeichnungen dürften allerdings von ihm selbst vernichtet worden sein.

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Wie wichtig Kafka sein Zeichnen – bei allem Bewußtsein der Grenze seiner Fähigkeiten – war, können nicht nur seine Äußerungen gegenüber Felice, sondern auch gegenüber Gustav Janouch belegen, dem er 1922 ebenfalls bezeugte: »Jene Zeichnungen haben mich zu seiner Zeit, es ist schon Jahre her, mehr befriedigt als irgend etwas.« Während er jedoch gegenüber Felice von Zeichenunterricht sprach, bestritt er diesen gegenüber Janouch und betont hier in einer Reihe von freilich in dieser Form nicht authentischen Äußerungen den experimentellen Charakter seiner Zeichnungen. Es sind dies keine Bilder, die affirmativ etwas darstellen oder aufzeigen, sondern sie erweisen sich vielmehr als Rätselzeichen, deren Entzifferung ebenso offen wie unsicher ist:

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»Aber das sind doch keine Zeichnungen, die ich jemandem zeigen könnte. Das sind nur ganz persönliche und darum unleserliche Hieroglyphen. […] Meine Figuren haben keine richtigen räumlichen Proportionen. Sie haben keinen eigentlichen Horizont. Die Perspektive der Figuren, deren Umriß ich da zu erfassen versuche, liegt vor dem Papier, am anderen, ungespitzten Ende des Bleistifts – in mir! […] Meine Zeichnungen sind keine Bilder, sondern eine private Zeichenschrift. […] Diese Männchen kommen aus dem Dunkel, um im Dunkel zu verschwinden […].«
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Diese auch für Kafkas Schreiben charakteristische Zurücknahme seiner Fähigkeiten verlangt gewiß nicht, Kafkas Zeichnungen (wie manche es mit seinen Texten tun) als undeutbar zu mystifizieren. Vielmehr kann ihr Skizzen- und Rätselcharakter auch dadurch ernst genommen werden, daß sie in Beziehung zu seinen Texten gestellt werden. Nicht zufällig hat wiederum der begeisterte Kafka-Sammler Brod betont, Text und Zeichnung bei Kafka zusammen zu lesen, indem er von einer »Doppelbegabung« gesprochen hatte. Er behauptete nicht nur, daß Kafka »auch als Zeichner ein Künstler von besonderer Kraft und Eigenart« war, sondern mehr noch »Parallelen zwischen zeichnerischer und erzählerischer Vision«. Der vorliegende Band bestätigt diese Parallelen und macht sie mit einem gelungenen Vorschlag sichtbar: Anstatt eine ausführliche, kunsthistorische Kommentierung der Zeichnungen zu liefern (was so oder so kaum möglich ist), stellt er ihnen in loser Beziehung Texte an die Seite, ohne eine eigentliche Illustrationsfunktion zu behaupten. Das Verfahren ist zwar historisch-kritischer Editionspraxis in dieser Weise fern, dennoch wird in diesem Selbstkommentar die Relevanz der Zeichnungen für Kafkas Schreiben deutlich.

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Die nötigen editorischen Angaben fehlen freilich nicht. Am Ende des Bandes findet sich nicht nur ein kurzes (niederländisch verfaßtes) Nachwort zu Kafka als Zeichner, sondern auch ein Dokumentarteil, der die Entstehungs- und Druckdaten der einzelnen Zeichnungen anführt sowie ihre Materialien und Maße angibt. Der Band läßt es damit insgesamt als wünschenswert erscheinen, in Zukunft – d.h. sobald die restlichen Zeichnungen zugänglich sind – noch eine vollständigere Ausgabe von Kafkas Zeichnungen zu realisieren. Dabei müßte – was hier offensichtlich nicht möglich war – auf die Originale zurückgegriffen werden, nicht zuletzt, um eine bessere Qualität der Reproduktion zu erlangen, die – trotz Vergrößerung – in dem vorliegenden Band leider zuweilen mangelhaft ist.