Goethes Dramen in Berlin: Inszenierungspraxis und Theatergeschichte
Hans-Hellmut Allers: Erlaubt ist, was gefällt. Der Dramatiker Goethe und seine Beziehungen zum Berliner Theater. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag BWV 2004. 152 S. 50 Abb. Kartoniert. EUR 17,90. ISBN: 3-8305-0567-1.
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Das Bändchen von Hans-Hellmut Allers über Goethe und Berlin will vornehmlich – so der Klappentext – Goetheliebhaber und Theaterfreunde ansprechen, ist also nicht primär für den wissenschaftlichen Gebrauch gedacht, versteht sich nicht vornehmlich als innovativer Forschungsbeitrag – dieser Anspruch ist zu berücksichtigen. Der Band ist entsprechend reich bebildert, enthält Stiche und Fotografien von Personen und Räumlichkeiten, so dass alles in allem ein anschauliches Bild von Goethes dramatischem Schaffen und seiner Beziehung zum Berliner Theater entsteht.
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Allers beginnt mit einem Überblick über Goethes Verhältnis zum Theater, zitiert aus literarischen Texten ebenso wie aus autobiographischen, also aus den Lehrjahren, aus Dichtung und Wahrheit, aus Briefen und Tagebüchern. Diese kleine Geschichte über Goethes Theaterpassion und seine Aktivitäten dient eher der Vergegenwärtigung von bekanntem Material als der wissenschaftlichen Vertiefung von Sachverhalten bzw. der Entfaltung von Problemfeldern. Die Inhalte der Dramen werden kurz präsentiert und der wissenschaftliche Status quo, die gängigen Lesarten angedeutet, wobei sich zuweilen etwas überholte Deutungen einschleichen. So spricht Allers von dem »kühne[n], sehr männliche[n] Satz« im Tasso, der große Freiheit fordert, und dem »sehr weiblich[en]«, der die ungestüme männliche Forderung ›bremst‹ (S. 33), ohne diese Geschlechterzuschreibungen zu reflektieren.
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Auch dieser erste Abschnitt, wie die Darstellung insgesamt, weist kleinere Digressionen auf, macht zum Beispiel biographische Angaben zur historischen Person Götz von Berlichingens, um auch den uneingeweihten Leser zu informieren. Schade ist, dass die häufig längeren Zitate nicht eingehender analysiert werden, sondern eher der Illustration dienen; Goethes komplexes Verhältnis zum Theater, das heißt seine pessimistischen, ja zuweilen despektierlichen Äußerungen sowie seine Kritik am eigenen dramatischen Œuvre werden nicht genauer ausgeleuchtet; seine poetologischen Diskussionen mit Schiller über epische wie dramatische Formen, zum Beispiel über die antidramatisch wirkende Symbollastigkeit der Natürlichen Tochter, werden nicht eingehender kommentiert, so dass aus literaturwissenschaftlicher Perspektive einige Aspekte dieser brisanten Dramendebatte verloren gehen. Allers betont lediglich das große Interesse Goethes am Drama und Theater trotz abfälliger Kommentare insbesondere über das tumbe Weimarer Publikum. Aber der Anspruch der Darstellung ist, wie gesagt, ein etwas anderer: Es geht um die Präsentation von historischen und theatergeschichtlichen Informationen und Quellen sowie um eine genaue Auflistung der Uraufführungsorte und -daten.
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Panorama des Berliner Theaters
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Die Leistung der Arbeit liegt im zweiten großen Teil, der sich mit dem Berliner Theater beschäftigt, und zwar nur unter anderem zur Goethe-Zeit. Hier öffnet sich ein weites Panorama: Zurückgegangen wird bis auf Friedrich III. bzw. Friedrich I., König von Preußen, also bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts – die vorangestellte Übersicht über Potentaten, Theater in Berlin und Aufführungen Goethes wäre vielleicht besser in den Text integriert worden, steht so etwas isoliert vor Beginn des Kapitels. Allers geht in diesem Abschnitt der Entwicklung der Berliner Theater nach, beschreibt die Duldung von Komödiantengruppen, die vor allem Hanswurstiaden zum Besten geben, verfolgt die Austreibung des Hanswurst durch Gottsched und Friederike Karoline Neuber – bekannte Tatsachen, die hier mit einem geographischen Index versehen werden. Behandelt werden die diversen prominenten Schauspieltruppen, beispielsweise die von Johann Friedrich Schönemann, und fokussiert werden einzelne Spielstätten wie ihre architektonischen Besonderheiten – so das Theater in der Behrenstraße, das zunächst von Carl Theophil Doebbelin geleitet wird; unter seiner Intendanz wird Lessings Minna von Barnhelm zum ersten Mal in Berlin aufgeführt.
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Allers gibt genauen Aufschluss über Spielpläne, ihre Zusammensetzung und Aufführungsdaten, berücksichtigt zudem die Rezeption, die Erfolge oder Misserfolge sowie die Kritiken. Es entsteht auf diese Weise das Bild einer bewegten Theaterlandschaft. Behandelt werden darüber hinaus die Gründung des Königlichen Nationaltheaters und die zentrale Stellung von August Wilhelm Iffland, der zum Generaldirektor ernannt wird, ›Klassiker‹ wie Schiller und Goethe auf dem Programm hat, zur Unterhaltung des breiteren Publikums jedoch auch Kotzebues Stücke im Repertoire hält. Berücksichtigt werden Goethes Äußerungen zu Neubauten und Theaterereignissen, die ihm vielfach von seinem getreuen Freund Zelter mitgeteilt werden – Zelter ersetzt Goethe den Theaterkritiker, schickt ihm regelmäßig Theaterzettel und berichtet über Inszenierungen und Reaktionen; Allers extrapoliert diejenigen Stellen aus dem Goethe-Zelter-Briefwechsel, die für sein Thema einschlägig sind.
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Praktiken der Goethe-Inszenierungen
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Besondere Aufmerksamkeit gilt in dieser lokalen Theatergeschichte den Aufführungen von Goethes Dramen und den Reaktionen in prominenten Zeitungen wie der Spenerschen und Vossischen. Abgedruckt sind zudem Theaterzettel, die Aufschluss über einige kuriose Details der damaligen Theaterpraxis geben. So wird beispielsweise Goethes Iphigenie auf Tauris von einem Ballett in einem Aufzug ergänzt, von Die Rosenfee. Goethes Drama voran geht Glucks Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis und der Prolog des Autors. Auf Clavigo, am 3.11.1774 in Berlin aufgeführt, folgt das pantomimische Ballett Der Vogelfang, um das Publikum für die Anstrengungen zu entschädigen. Deutlich wird der damals laxe Umgang mit Urheberrechten, die allerdings in diesem Zeitraum noch nicht in dem Maße juristisch kodifiziert sind wie im 19. Jahrhundert. Erkennbar wird zudem das Bestreben, ein deutsches (National-)Theater aufzubauen und Goethes Dramen in Abgrenzung von den französischen zu bewerten. Götz von Berlichingen wird als patriotisches deutsches Stück gepriesen, weil es ein deutsches Mittelalter, die »damalige deutsche Sitte und Denkungsart« entdeckt (S. 74). An dieser Stelle hätte eine weiterführende Analyse auf die Nationalisierungsimpulse eingehen können, auf den starken anti-französischen Affekt, der auch die Theaterdebatte prägt und poetologische Konsequenzen hat.
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Aufschlussreich sind diese Besprechungen auch hinsichtlich der Inszenierungspraxis; Götz von Berlichingen wurde offensichtlich in »vollkommenen Kostümen« gegeben, die Schauspieler mit »alten Kleidern« und Harnischen ausstaffiert, so dass der Erfolg zuweilen auf diese historisierende Ausstattung zurückgeführt wurde. Und es zeichnen sich die Vorlieben des Berliner Publikums ab, das das Singspiel Erwin und Elmire in besonderem Maße schätzt – in diesem Zusammenhang geht Allers auch genauer auf die Vertonungen ein. Das politische Drama Die natürliche Tochter hatte hingegen keinen Erfolg, was wohl auch mit seiner epischen Form im Zusammenhang steht – die Kritiken analysieren vielfach hellsichtig die eigenwillige Anlage der Goetheschen Dramen, spüren unter anderem ihren Widerstand gegen die traditionelle Aufführungspraxis und die Gegebenheiten der Bühne auf. Allers vermittelt durch die Zusammenstellung dieser Quellen ein anschauliches Bild der Theaterpraxis in der Metropole.
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Es schließt sich ein Abschnitt über die Berliner Intendanten an, ein weiterer über Goethes Äußerungen über das Publikum. Auch hier wäre zuweilen eine vertiefende Lektüre wünschenswert gewesen, so wenn Goethe das Publikum als »Tier« bezeichnet, dem auf bestimmte Weise zu begegnen ist, als »närrische Karikatur des Demos« und als Frauenzimmer. Der Hinweis Allers’, dass die von Goethe monierte Wankelmütigkeit des Publikums auch heute noch zu finden sei, befriedigt nicht recht. Symptomatisch für Allers’ Darstellung ist, dass im Folgenden diverse Äußerungen Goethes lediglich kommentarlos aneinander gereiht werden.
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Der Band versammelt also vornehmlich Quellen zum Thema, bietet diese einer weiterführenden Lektüre an, die den Widersprüchen in Goethes Kommentaren Rechnung tragen müsste, ebenso Goethes Widerstand gegen eine spezifische Bühnenpraxis. Die Regeln für Schauspieler, die Allers kurz anschneidet, wären entsprechend in eine bestimmte Schauspieltradition zu integrieren und theatergeschichtlich zu präzisieren. Zuweilen erscheinen die Sachverhalte etwas verkürzt. So spricht Allers von Goethes Ablehnung des Dialektalen, das jener offensichtlich Kleists Zerbrochnem Krug zuschrieb, und folgert: »Die Aufführung am Weimarer Hoftheater am 2.3.1808, die dennoch stattfand, wurde denn auch ein Misserfolg« (S. 124). Diese für Kleist einschneidende Erfahrung, diese Geschichte einer misslingenden Aufführung ließe sich ausführlicher erzählen und ist sicherlich mehreren Ursachen zu schulden.
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Die Darstellung schließt ab mit einer breit angelegten Rekonstruktion der Faust I-Aufführung in Berlin, einem Stück, das sich der Umsetzung zunächst ebenfalls widersetzt – Goethe selbst hält von dessen dramatischer Substanz nicht allzu viel. Die Premiere findet am 21. Mai 1819 in Zelters Singakademie in Berlin statt; die Musik liefert Anton Heinrich von Radziwill. Goethes Sohn erwähnt in seinem ausführlichen Bericht unter anderem das Kuriosum, dass der Erdgeist mit Goethes Konterfei versehen auftritt.
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Fazit
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Allers’ Buch eignet sich also für einen ersten Einstieg in die Aufführungsgeschichte der Goetheschen Dramen, liefert ein anschauliches Bild der Theaterlandschaft in Berlin und präsentiert aufschlussreiches Quellenmaterial zu den zeitgenössischen Inszenierungsgepflogenheiten. Vertiefende Lesarten allerdings unterbleiben, sind jedoch nicht Ziel dieser Zusammenstellung von Briefstellen, Rezensionen, Kritiken und Äußerungen Goethes für Liebhaber.
Prof. Dr. Franziska Schößler Universität Trier FB II - Germanistik Neuere deutsche Literatur Universitätsstraße 15 DE - 54286 Trier
Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Lena Grundhuber.
Empfohlene Zitierweise:
Franziska Schößler:
Goethes Dramen in Berlin: Inszenierungspraxis und Theatergeschichte. (Rezension über: Hans-Hellmut Allers: Erlaubt ist, was gefällt. Der Dramatiker Goethe und seine Beziehungen zum Berliner Theater. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag BWV 2004.) In: IASLonline [18.11.2004] URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=901> Datum des Zugriffs:
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