Buchproduktion und Stilzusammenhänge - Kreuzigungsdarstellungen in der kölnischen Buchmalerei
Johanna Christine Gummlich: Bildproduktion und Kontemplation. Ein Überblick über die Kölner Buchmalerei in der Gotik unter besonderer Berücksichtigung der Kreuzigungsdarstellung. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften VDG 2003. 562 S. 49 s/w, 53 farb. Abb. Gebunden. EUR 79,80. ISBN: 3-89739-339-5.
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Köln war bekanntlich eine der bevölkerungsreichsten Städte des spätmittelalterlichen Europas, eine blühende Handelsmetropole mit weitreichenden ökonomischen Beziehungen und einem weit gespannten Netz von unterschiedlichen religiösen Institutionen innerhalb der Stadtmauern. Dementsprechend florierte die Stadt auch als produktives künstlerisches Zentrum mit potenter Auftraggeberschaft. Besonders die kölnische Tafelmalerei hat seit längerem das Interesse der Forschung wie einer breiteren Öffentlichkeit gefunden. Zu nennen sind, aus dem letzten Jahrzehnt, nur die beiden großen Ausstellungen des Wallraf-Richartz-Museums: 1993 diejenige zu Stefan Lochner 1 und 2001 diejenige zum so genannten Bartholomäus-Meister. 2 Mit systematischen Fragestellungen befassten sich beispielsweise die breit angelegte Untersuchung von Wolfgang Schmid 3 zum kölnischen Stifterwesen oder kürzlich Anton Legners Arbeit zur kölnischen Reliquienkultur. 4 Während es anhand der musealen Sammlungskataloge vergleichsweise einfach ist, sich einen Überblick über den Bestand an Altkölner Tafelmalerei zu verschaffen, 5 rückte die kölnische Buchmalerei aus demselben Zeitraum nicht in gleichem Maße ins Rampenlicht, 6 obwohl dankenswerterweise gerade auch bei den genannten Ausstellungen immer wieder die vielfältigen Querbeziehungen zwischen den Gattungen aufgezeigt wurden.
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Der Überblick: Kölnische Kreuzigungsdarstellungen, 1290–1525
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Erstmalig den Gesamtbestand von Kölner »Codices mit figürlichem Buchschmuck aus der Gotik« (S. 13) zu erfassen und ein verlässliches Datierungsnetz zu erstellen, ist denn auch eine der wichtigsten Zielsetzungen der hier anzuzeigenden Untersuchung, einer von Prof. Barbara Schellewald an der Universität Bonn betreuten kunsthistorischen Dissertation, die 2001 vom Landschaftsverband Rheinland mit dem Paul-Clemen-Stipendium ausgezeichnet wurde. Ausgangspunkt dafür ist eine tabellarische Zusammenstellung aller bisher bekannten kölnischen Handschriften und Handschriftenfragmente aus dem Zeitraum von ca. 1290 bis 1525, ergänzt durch mit Buchmalerei ausgestattete Drucke aus der Inkunabel- und der Postinkunabelzeit. Gemäß dem vordringlichen Ziel, dieses reiche Material stilistisch zu ordnen und in eine plausible chronologische Ordnung zu bringen, erwies sich eine thematische Einschränkung als unumgänglich. Dafür wurde der Typus der Kreuzigungsdarstellung ausgewählt – eine sinnvolle Entscheidung, da so zum einen Vergleiche mit Werken anderer Medien wie Tafel- oder Glasmalerei möglich sind, zum anderen dieses Bildthema im gewählten Untersuchungszeitraum kontinuierlich nachzuweisen ist.
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Chronologisch geordnete Kreuzigungsdarstellungen, vielfach aus Missalien und Eidbüchern, stehen also im Zentrum der Untersuchung. Gerade die in Köln zu beobachtende Gleichförmigkeit des Bildtypus, mit einer ungebrochenen Vorliebe für die traditionelle Dreifiguren-Gruppe mit Maria und Johannes unter dem Kruzifixus über die gut 250 Jahre hinweg, nutzt die Autorin als methodisches Potential. Sie unterzieht die insgesamt 53 Werke kölnischer Provenienz einer subtilen stilistischen Analyse, gruppiert die verwandten Werke zusammen und vergleicht sie mit Kreuzigungsdarstellungen aus der Tafel- und Glasmalerei. Um die stilistischen Einordnungen nachvollziehbar zu machen, ist das Buch nicht nur mit 53 Farbtafeln und 49 Schwarz-Weiß-Abbildungen illustriert, sondern mit rund 80 Umrisszeichnungen der besprochenen Kruzifixe ergänzt. Zu jedem Kapitel gehört demnach neben einer Tabelle mit den im jeweils behandelten Zeitraum in Köln entstandenen, figürlich geschmückten Handschriften eine übersichtliche Zusammenstellung der entsprechenden Umrisszeichnungen.
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Dank der konsequenten Durchführung des gewählten methodischen Ansatzes kommt Gummlich zu zahlreichen überzeugenden Neuzuschreibungen, Umdatierungen und Neubewertungen. Während diese für alle weiteren Versuche einer stilistisch-chronologischen Ordnung der spätmittelalterlichen Kunstproduktion in Köln relevant sind, so sind für eine an allgemeineren Fragen der Buchproduktion interessierte Leserschaft vor allem diejenigen Abschnitte der vorliegenden Untersuchung ergiebig, in denen über die stilistische Einordnung hinaus die Stiftungs- und Produktionsverhältnisse der einzelnen Werke und Werkstätten ausführlicher dargelegt werden.
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Ein Beispiel: Innovation im Frauenkloster
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Ein solcher Schwerpunkt liegt beispielsweise auf der Untersuchung der Handschriftenproduktion des 14. Jahrhunderts im Kölner Klarissenkloster St. Klara. Zum ersten Mal sind die sicher oder möglicherweise mit diesem produktiven Skriptorium in Zusammenhang zu bringenden Handschriften und Handschriftenfragmente übersichtlich zusammengestellt (Tab. 6, S. 74–82), wobei die Autorin der Gruppe drei weitere Werke neu hinzufügt:
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Köln, Erzbischöfliche Dom- und Diözesanbibliothek, Dom Hs. 267
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Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. C 60
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Xanten, Stiftsarchiv, Missale H 144.
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Das Kölner Minoritenkloster, das die Visitationspflicht für St. Klara übernommen hatte, und das ebenfalls ein produktives Skriptorium unterhielt, könnte für Vorlagenübermittlungen und künstlerische Kontakte verantwortlich gewesen sein (S. 59). Sehr interessant im Hinblick auf die generelle Frage nach der Bildproduktion in Frauenklöstern ist Gummlichs Hinweis auf einen neuen Kruzifixustypus mit schlankeren Proportionen und einem kleineren Kopf, den die Buchmalerin Loppa vom Spiegel aus St. Klara einführte und dessen Einfluss in der kölnischen Buchmalerei bis gegen Ende des Jahrhunderts nachvollziehbar bleibt (S. 111–113). Damit wird an einem Einzelfall nicht nur die hohe Qualität einzelner Handschriften aus Frauenklöstern deutlich, sondern, was insgesamt seltener nachzuweisen ist, auch deren künstlerischer Einfluss auf die Buchproduktion außerhalb der Klostermauern.
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Die Methode auf dem Prüfstand: Einzelfälle und stilistische Heterogenität
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An die Hochblüte der Kölner Buchmalerei im 14. Jahrhundert schließt sich eine gut 50 Jahre umfassende Periode an, aus der auffällig wenig illuminierte Handschriften erhalten geblieben sind. Diese zeichnen sich zudem durch eine beachtliche stilistische Heterogenität aus. »Einige der Miniaturen würden bei der Voraussetzung rein stilkritischer Charakteristika vermutlich nicht einmal tatsächlich als ›kölnisch‹ bezeichnet werden« (S. 157). Die stilkritische Methode – Bemerkungen wie diese zeigen dies deutlich – muss immer wieder durch historische, codicologische und produktionsorientierte Argumente ergänzt und ›gegengeprüft‹ werden.
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So gesehen ist die vorliegende Untersuchung zugleich ein methodisches Lehrstück: Sie zeigt, mehr exemplarisch als in theoretischer Reflexion, die Leistungsfähigkeit wie die Grenzen dieser kunsthistorischen Methode. Die in den Umrisszeichnungen visuell gut nachvollziehbare stilistische Ordnung der Kreuzigungsbilder ist immer wieder in Beziehung zu setzen zum – häufig heterogenen – Produktionsprozess der gesamten Handschrift beziehungsweise der Handschriftengruppe, zur Stiftungssituation, den Intentionen des Auftraggebers und anderem. Die Autorin tut dies, soweit es im weit gefassten Rahmen der Untersuchung möglich ist, und legt in einzelnen Fällen dar, wie komplex sich die Situation gestalten kann. Auch auf Einzelfälle wird eingegangen: Bilder, die sich in die kölnische Stilentwicklung nicht nahtlos einfügen lassen (zum Beispiel das Kanonbild im Wintersbach-Missale in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Hs. 876, oder ein Einzelblatt aus dem 14. Jahrhundert im Wallraf-Richartz-Museum in Köln, M 75) machen auf Brüche, retrospektive Rückgriffe und unterschiedliche, aber zeitlich parallel laufende Entwicklungen aufmerksam. Solche Phänomene sind bei jeder stilistischen Einordnung sorgfältig mit zu bedenken.
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Medienwechsel: Der Austausch zwischen Holzschnitt und Buchmalerei
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In den beiden letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts kamen vier Auflagen des Missale Coloniense mit ganzseitigen Kanonbild-Holzschnitten heraus. Dem illuminierten Buch erwuchs Konkurrenz. Die Autorin zeichnet im letzten, umfangreichen Abschnitt ihrer Untersuchung ein differenziertes Bild der Konkurrenz wie der gegenseitigen Beeinflussung zwischen den beiden bildkünstlerischen Medien in Köln im Zeitraum von 1480–1525. Zahlreiche Formen von Zusammenarbeit zwischen Druckern und Illuminatoren sind nachzuweisen, beispielsweise die Einfügung von noch nicht eingedruckten Initialen durch Buchmaler oder, wenig später, die ›Veredelung‹ von in Paris gedruckten kölnischen Missalien durch Kolorierung des gedruckten Schmuckes, was bis zur vollständigen Übermalung der Holzschnitte führen konnte. Wo der Buchdruck noch nicht mithalten konnte – beispielsweise bei großformatigen liturgischen Büchern mit Notationen oder bei selten nachgefragten Inhalten – sind im frühen 16. Jahrhundert in den klösterlichen Skriptorien von Groß St. Martin und den Kreuzherren nochmals repräsentativ illuminierte Handschriften entstanden.
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Die Orientierung im Buch
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Die differenzierte Untersuchung bietet Fachleuten zahlreiche neue Erkenntnisse zur Entwicklung der kölnischen Buchmalerei im Spätmittelalter und dürfte als Fundament für zukünftige Forschungen unumgänglich werden. Außerdem stellt sie für weiterführende systematische Fragestellungen, zum Beispiel nach dem Verhältnis von monastischer zu weltlicher Buchproduktion oder nach den Gründen für die Ablehnung von Bildern in Büchern durch kölnische Auftraggeber um 1400, viel ergiebiges Material bereit. Einer Lektüre des Buches unter solchen systematischen Gesichtspunkten stehen allerdings Orientierungsschwierigkeiten entgegen: Manchmal ist für mit der Materie nicht völlig vertraute LeserInnen die knappe Zitation der Handschriften nur mit ihrem Signaturenkürzel verwirrend. Zusammenfassende Abschnitte sind zuweilen sehr knapp ausgefallen, und die Umrisszeichnungen wie die tabellarische Handschriftenzusammenstellung sind im Buch schwer aufzufinden.
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Zwei Register, ein Handschriftenregister und ein Namensregister, sollten die Orientierung erleichtern. Doch wurde offenbar durch ein Versehen des Verlages das Namensregister völlig ungeordnet abgedruckt, was äußerst bedauerlich ist, denn das gezielte Auffinden von Detailinformationen wird dadurch beschwerlich. Hinzu kommt, dass auch die Angaben der Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis durchwegs – und jeweils unterschiedlich – falsch sind. 7 Äußerst hilfreich ist hingegen der umfangreiche Katalogteil (S. 337–447), in dem die untersuchten kölnischen Handschriften mit Kreuzigungsdarstellungen ausführlich beschrieben sind. Mit 53 meist ganzseitigen Farbabbildungen, deren Qualität allerdings zu wünschen übrig lässt, und mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist der gewichtige Band reich bebildert.
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Diese eher formalen Vorbehalte sollen den Wert der vorliegenden Publikation nicht schmälern. Für jede weitere Auseinandersetzung mit der kölnischen Buchproduktion im Spätmittelalter ist Gummlichs Arbeit zur Bildproduktion und Kontemplation unverzichtbar, und die auf einen Ort und ein Bildthema beschränkte Darstellung enthält viele Beobachtungen, die fruchtbar in die allgemeine Geschichte der Buchmalerei wie der Buchproduktion einzubinden sind.
Dr. Susan Marti Ruhrlandmuseum Essen Goethestr. 41 DE - 45128 Essen
Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Julia Ebeling.
Empfohlene Zitierweise:
Susan Marti:
Buchproduktion und Stilzusammenhänge - Kreuzigungsdarstellungen in der kölnischen Buchmalerei. (Rezension über: Johanna Christine Gummlich: Bildproduktion und Kontemplation. Ein Überblick über die Kölner Buchmalerei in der Gotik unter besonderer Berücksichtigung der Kreuzigungsdarstellung. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften VDG 2003.) In: IASLonline [11.09.2004] URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=927> Datum des Zugriffs:
Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.
Stefan Lochner: Meister zu Köln. Herkunft – Werke – Wirkung. In: Frank Günter Zehnder (Hg.): Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz-Museum Köln. Köln 1993. zurück
Rainer Budde / Roland Krischel (Hg.): Genie ohne Namen. Der Meister des Bartholomäus-Altars, Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz-Museum Köln. Köln 2001. zurück
Einem Teilaspekt widmet sich Elisabeth Hemfort: Monastische Buchmalerei zwischen Mittelalter und Renaissance. Illuminierte Handschriften der Zisterzienserabtei Altenberg und die Kölner Buchmalerei 1470–1550 (Veröffentlichungen des Altenberger Dom-Vereins 6) Bergisch Glasbach 2001. Die 2004 an der FU in Berlin eingereichte Dissertation von Ines Dickmann Stefan Lochner und die Kölner Buchmalerei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Der Kölner Goldrispenstil – eine Studie zur Entwicklung und Ausbreitung eines lokalen Dekorationsstiles wird die vorliegende Publikation in willkommener Weise ergänzen. Die beiden Autorinnen arbeiteten eng zusammen. zurück
Ein korrektes Inhaltsverzeichnis und ein alphabetisch sortiertes Namensregister finden sich als PDFs auf der Homepage der Autorin unter http://www.gummlich-wagner.de/korrigenda.html (Zugriffsdatum: 17.11.2006). zurück