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Wozu noch Religion?

Andrea Ring antwortet mit Jean Paul
und Niklas Luhmann

  • Andrea Ring: Jenseits von Kuhschnappel. Individualität und Religion in Jean Pauls »Siebenkäs«. Eine systemtheoretische Analyse. (Epistemata - Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft 529) Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. 215 S. Geheftet. EUR (D) 28,00.
    ISBN: 3-8260-2983-6.
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Andrea Ring hat mit »Jenseits von Kuhschnappel. Individualität und Religion in Jean Pauls Siebenkäs« eine komplexe Studie vorgelegt, die Jean Pauls Siebenkäs-Roman mit dem Theorem der funktionalen Differenzierung von Niklas Luhmanns Systemtheorie konfrontiert – und zwar in Hinsicht auf die Evolution der Individualitätssemantik und des Religionssystems. Anhand Jean Pauls Roman sowie mehrerer Seitenblicke auf Musils Mann ohne Eigenschaften geht Ring der Frage nach, inwiefern sich in der Literatur zeigen ließe, dass die Religion entgegen der üblichen Säkularisierungsthese in der Neuzeit ihre Funktion nicht verliert, sondern sich dergestalt wandelt, so dass sie gerade für das Problem der selbstreferentiellen Identitätskonstitution des modernen Individuums eine Lösung bietet.

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Im folgenden sollen zumindest die zentralen Gedanken der Studie Andrea Rings zu Jean Pauls Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs dargestellt und abschließend einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Eine vollständige Darstellung aller Aspekte der Analyse ist aufgrund deren Gedankenreichtums hier nicht möglich. Wie vorweg kritisch anzumerken ist, ist die Gliederung Rings nicht immer transparent angelegt. Daher wird in der folgenden Darstellung stellenweise darauf verzichtet, dem Aufbau der Arbeit zu folgen.

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Die Fragestellung

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Zur Exposition ihrer Fragestellung greift Andrea Ring zunächst auf Musils Mann ohne Eigenschaften zurück. Dessen Protagonist Ulrich rechtfertigt seine Beschäftigung mit religiösen Schriften gegenüber dem spöttischen Gelächter Agathes, er sehe sich »den heiligen Weg mit der Frage an, ob man wohl auch mit einem Kraftwagen auf ihm fahren könnte«. Nach Ring thematisiert dies das geläufige Verständnis der Säkularisierung, nach der die Religion der Moderne und dem modernen Individualismus nicht Stand halte. Nach Musils Interpretation ist es nach Ring »mit der Autonomie der Subjekte« jedoch nicht weit her. »Zweihundert Jahre nach der Religion ist jetzt das Ich vom Bedeutungsverlust bedroht.« (S. 9) Nach Musil »ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann entstanden, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt« (Musil bei Ring, S. 9). Auf der Suche nach einem anderen Zustand’ des Ich, der diesen Normalzustand’ transzendiert, konsultiert Musils Protagonist die alten Mystiker – eben jene vermeintlich anachronistische Lektüre, bei der Agathe Ulrich ertappt (vgl. S. 7 ff.). »Unter der Hand«, meint Ring, schlössen so »die Intentionen von Religion und Individualität wieder zusammen« (S. 9).

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Ulrichs Frage, ob der heilige Weg sich mit einem Kraftwagen befahren lasse, interpretiert Ring als Frage nach der Funktion der Religion in einer säkularisierten Gesellschaft – eine Frage, die den von Ring gewählten systemtheoretischen Zugang durchaus plausibel macht. Schließlich erscheint in Niklas Luhmanns Systemtheorie Säkularisierung nicht einfach als Funktionsverlust der Religion, sondern als ein durch die Ausdifferenzierung konkurrierender Funktionssysteme induzierter Funktionswandel des Religionssystems. Durch Wissenschaft, Kunst, Politik und andere Funktionssysteme ihres vormals universellen Deutungsprimats beraubt, stellt sich der Religion die Frage, für welches spezifische, von allen anderen Funktionssystemen unbearbeitete Problem sie die Antwort sein kann (vgl. S. 20 ff.).

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[W]enn Säkularisierung nicht Verlust, sondern Wandel der religiösen Funktion bedeutet, so ist offen, was diese Funktion der Religion als eines der Subsysteme der modernen Gesellschaft sei bzw. ob sie tatsächlich eine habe. (S. 23)
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Ausgehend vom Mann ohne Eigenschaften schließt Ring auf eine moderne Funktion der Religion, die von der herkömmlichen Religion der stratifizierten Gesellschaft abweicht – eine zeitgemäße Funktion der Religion für das neuzeitliche Individuum, die nach Ring gerade auf dem Gebiet der Literatur zu analysieren wäre, und von ihr exemplarisch an Jean Pauls Siebenkäs erkundet wird. Dabei greift Ring vor allem auf zwei Gedanken der Luhmannschen Theorie der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft zurück: Auf die These eines Wandels von der Inklusions- zur Exklusionsindividualität sowie auf die Frage nach dem Funktionswandel des Religionssystems.

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Von der Inklusions- zur Exklusionsindividualität

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Nach Luhmann individuiert die stratifikatorisch differenzierte Gesellschaft Individuen durch die Inklusion in eine ihnen durch Geburt zugewiesene Schicht. Wandelt sich die primäre Gesellschaftsdifferenzierung von der Stratifikation zur funktionalen Differenzierung, können Individuen nicht länger durch Inklusion in Schichten, aber auch nicht durch Inklusion in Funktionssysteme individuiert werden, da Individuen stets in mehrere davon zugleich inkludiert sind. Durch die modernen Funktionssysteme stets nur partiell und nie als ganzes Individuum inkludiert, muss sich das Individuum daher selbstreflexiv konstituieren. Das Individuum konstituiert sich in der funktional differenzierten Gesellschaft »exklusiv, als ein autopoietisches System außerhalb der Gesellschaft« (S. 24).

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Vor diesem Hintergrund interpretiert Andrea Ring den in Jean Pauls Roman entwickelten Konflikt zwischen dem Individuum Firmian Siebenkäs und der Kuhschnappler Gesellschaft. Firmian Siebenkäs ist nach Ring der Protagonist der modernen Konzeption des autonomen Individuums, das seine Position zwischen autonomer Reflexion und sozialen Beziehungen aushandelt, statt seine Identität aus Schichtzugehörigkeit und sozialen Konventionen zu beziehen. Während die Kuhschnappler Gesellschaft, die ihn umgibt, noch durch soziale Stratifikation und durch Figuren gekennzeichnet ist, die ihre Individualität ihrem sozialen Status verdanken, unterscheidet Siebenkäs auf der Basis eines exklusives Selbstverhältnisses zwischen gesellschaftlicher Rollenzuweisung und Selbst (vgl. S. 15 ff. u. S. 86 ff.). Dies erlaubt ihm eine satirisch-humoristische Perspektive auf die Kuhschnappler Verhältnisse wie auch auf sich selbst.

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Im Gegensatz zu Siebenkäs verfügt dessen Frau Lennette nicht über die Fähigkeit, zwischen ihrer sozialen Rolle und ihrem Selbst zu unterscheiden. Auf jenem Kontrast zwischen der auf Exklusion beruhenden Individualität Siebenkäs und der auf Inklusion basierenden Individualität Lenettes entzündet sich der Ehekonflikt des Paares, der das Zentrum des Romans bildet. Die Konstellation dieses Ehekonflikts weicht jedoch von der Luhmannschen Annahme ab, die Entwicklung der Exklusionsindividualität resultiere aus der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft. Denn Siebenkäs’ Exklusionsindividualität steht alleine inmitten der stratifizierten Gesellschaft Kuhschnappels, die ihn für seine Missachtung der Inklusionsordnung sanktioniert. Während bei Luhmann die exklusive Bestimmung der Individualität eine Begleiterscheinung der strukturellen Evolution ist, korrespondiere im Siebenkäs »der semantischen Evolution nicht einmal die Möglichkeit eines soziostrukturellen Wandels« (S. 99).

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Dass Jean Paul einerseits eine moderne Konzeption von Individualität darstellt und andererseits der Religion anhängt, werde nach Andrea Ring gemeinhin als ein Widerspruch aufgefasst. Stets bedurfte es daher »einer Erklärung für die infantile Regression des progressiven Mannes« (S. 34), wie Ring ironisiert. Um zu ermessen, inwiefern der Text eine Stellungnahme im Prozess der Säkularisierung bzw. im Prozess funktionaler Differenzierung ist, müsse man nach Andrea Ring dagegen die Verknüpfung von neuzeitlichem Fortschritt und Atheismus aufgeben.

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Religion im gesellschaftlichen Strukturwandel

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Nach Luhmann betrifft der Wandel der Religion im Zuge der funktionalen Differenzierung als erstes das Verhältnis von Religion und Moral. Während in der stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft der Religion universelle moralische Urteilskompetenz zukomme, ist nach Luhmann solch moralischer Universalismus mit den Anforderungen verschiedener funktional ausdifferenzierter Funktionssysteme nicht mehr kompatibel. Aber auch in dieser Hinsicht herrscht im Kuhschnappel Jean Pauls die stratifizierte Gesellschaft fort. Hier besteht noch die Möglichkeit, in allen Lebensbereichen religiöse Unterscheidungen zu treffen. In der Kuhschnappler Gesellschaft fürchtet man Gott im Gewitter, hält den Nonkonformisten für einen Atheisten und droht dem Ungläubigen mit der Hölle (vgl. S. 57 ff.).

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Die Unterscheidung von Himmel und Hölle dient in der religiösen Semantik des Mittelalters der Kompensation des Elends derjenigen, die am unteren Ende der stratifizierten Gesellschaft darben. Die Transzendenz verspricht Heil denen, die die Ungerechtigkeit des Diesseits geduldig ertragen und droht jenen mit Verdammnis, die sich den moralischen Geboten des Diesseits entziehen. Weil die funktionale Differenzierung jedoch das Deutungsprimat der Religion in Frage stellt, reagiert die religiöse Semantik nach Luhmann im 18. Jahrhundert mit der Tilgung der Hölle.

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Nach Ring zeige sich dies in der Figur Firmian Siebenkäs’, der zwar auf das Jenseits hofft, die Möglichkeit der Hölle aber weder für sich noch für andere in Betracht zieht. Die religiöse Differenz von Transzendenz und Immanenz ist bei ihm nicht mehr mit der von Heil und Verdammnis verbunden. Seine Religion ist somit nicht mehr moralisch programmiert, sowie seine Moral nicht mehr religiös fundiert ist. »Die exklusive Variante der religiösen Orientierung als Präfiguration moderner Individualität scheint beim Advokaten Siebenkäs vorzuliegen.« (S. 38)

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Transzendenz dient Siebenkäs nicht mehr zur Unterscheidung von Heil und Verdammnis, sondern dazu, der tristen Immanenz seines Daseins einen Positivwert entgegenzustellen, aus dessen Warte das immanente »eitel« erscheint – besonders die Güter, die Siebenkäs von Armut gezwungen verkaufen muss. Wie die Höllenmetaphern unterstreichen, die den ehelichen Alltag Siebenkäs’ zieren, wird die Immanenz so zur säkularisierten Hölle.

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Folgt man der Interpretation Rings, zeigt der Roman an der Figur Siebenkäs eine Form von individueller Religiosität, die sich von der auf Höllensemantik beruhenden Religion seiner Kuhschnappler Gesellschaft deutlich abhebt.

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In der Systemtheorie Luhmanns wird jedoch postuliert, dass die Evolution des Religionssystems mit der Evolution der Exklusionsindividualität zusammenhängt. Weil die Religion im Zuge funktionaler Differenzierung auf ihren universelle Geltung verzichten müsse, verlagere sie die Seelenheilsorge so ins Individuelle, dass die Inklusion ins Religionssystem mit der Selbstexklusion aus der Gesellschaft zusammenfalle und schaffe damit eine Form, in der bereits für die Exklusionsindividualität »trainiert« werde (vgl. Luhmann bei Ring, S. 38).

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Die Luhmannsche Evolutionslogik, nach der die Exklusionsindividualität gleichsam in der Evolution des Religionssystems vorgezeichnet ist, werde nach Andrea Ring im Roman Siebenkäs aber gerade nicht nahe gelegt. Denn die Trennung von Moral und Religion, die Abkehr von der Höllensemantik und die religiöse Individualisierung vollziehe sich in Kuhschnappel allein beim Individuum Siebenkäs, bei allen anderen aber bleibt sie aus. So stellt der Armenadvokat selbst innerhalb der Schichtgesellschaft von Inklusions- auf Exklusionsindividualität um, eine seiner semantischen Innovation zugrunde liegende soziostrukturelle Evolution scheint es hier nicht zu bedürfen (vgl. S. 49 f.). »Damit hat die Evolution der religiösen Semantik bei Jean Paul vor einem soziostrukturellen Wandel stattgefunden und wird zum Mittel seiner Einforderung.« (S. 55)

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Zur Funktion der Religion

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In Hinblick auf die Frage nach einer modernen Funktion der Religion interpretiert Ring in der Einleitung zunächst den wohl prominentesten Teil des Siebenkäs-Romans, die »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei«. In dieser wird deutlich, dass der Erzähler die göttliche Transzendenz nicht als Garantie eines Lebens nach dem Tode bemüht, sondern, so Ring, zur Lösung des »konstitutionsbedingte[n] Dilemma[s] des neuzeitlichen Individuums« (S. 13) nutze.

[23] 
Ich will mit geringern Schmerzen die Unsterblichkeit als die Gottheit leugnen: dort verlier’ ich nichts als eine mit Nebeln bedeckte Welt, hier verlier’ ich die gegenwärtige, nämlich die Sonne derselben; das ganze geistige Universum wird durch die Hand des Atheismus zersprengt und zerschlagen in zahllose quecksilberne Punkte von Ichs, welche blinken, rinnen, irren, zusammen- und auseinanderfliehen, ohne Einheit und Bestand. Niemand ist im All so einsam wie der Gottesleugner [...]. (Siebenkäs zitiert bei Ring, S. 12)
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Gegen die Einsamkeit wirkt Gott als »Urfreund«, »Ur-Ich und Ur-Du zugleich«, wie es bei Jean Paul heißt, oder als »eine Bezugsgröße zur Selbstunterscheidung eines reflexiv verfassten Individuums von der Gesellschaft«, wie Andrea Ring formuliert (S. 13). Wozu aber bedarf das Individuum zur Selbstunterscheidung von der Gesellschaft einer transzendenten Bezugsgröße? Warum ist reine Selbstreferenz überhaupt ein Problem?

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Die moderne Exklusionsindividualität, die Andrea Ring dem Protagonisten Firmian Siebenkäs diagnostiziert, ist allein negativ bestimmt. Darum bleibe Siebenkäs das »Gefühl einer von allen Verhältnissen entfesselten freien Seele« (Siebenkäs zitiert bei Ring, S. 119). Im exklusiven Selbstverhältnis könne es zu keiner positiven oder substantiellen Bestimmung kommen. Vielmehr beschränke sich die Reflexivität des Individuums auf eine »moralische Selbstprüfung«, die sich nach Luhmann im »Motivverdacht« verstricke (vgl. S. 119).

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Siebenkäs’ Autorschaft

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Autorschaft ist nach Andrea Ring einer der Versuche, dem Dilemma des rein selbstreflexiv konstituierten Individuums zu entkommen. Während sich, wie Luhmann beobachtet, die »semantische Genese der neuzeitlichen Individualität« (S. 119) in der Literatur vollzieht, wandelt sich die Kunstrezeption weg vom Maßstab der Perfektion hin zum Begriff der Neuheit und des Genies. Kunstwerke werden zunehmend »als individuell gefertigtes Werk individueller Künstler« begriffen (Luhmann bei Ring, S. 120). Auch Jean Paul adaptiert nach Ring das Modell des originär schaffenden Künstlers und spricht von der »Vielkräftigkeit des Genies« (S. 120).

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Firmian Siebenkäs schreibt jedoch nicht als originäres Individuum oder Künstler im genieästhetischen Sinne, sondern als Bürger: Er will mit dem Schreiben Geld verdienen – freilich ein naiver Wunsch, der nicht in Erfüllung geht. Die Kritik des Rezensenten fürchtet er jedoch nicht als negativen Faktors für seinen schriftstellerischen Markterfolg, da es ihm doch um das »Lob des Autors« gehe. Nach Ring strebe Siebenkäs durch seine Autorschaft eine soziale Rolle in der Kuhschnappler Gesellschaft an, die ihm eine Möglichkeit zur Identifikation bietet, ohne dass der darum seine Exklusionsindividualität aufgeben muss (vgl. S. 120 ff.).

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Die identitätsstiftende Funktion der Autorschaft, die das Dilemma des rein selbstreflexiv verfassten Individuums löst, verdankt sich vor allem der Tatsache, dass ein Autor beobachten kann, wie er beobachtet wird. »Man sagt mit Simmel, Mead oder Sartre, daß sie erst durch die Blicke der anderen eine Identität erhalten; aber dies doch nur, wenn sie beobachten, daß sie beobachtet werden«, zitiert Andrea Ring Luhmann (S. 133). Im Gegensatz zur Stratifikation, die Individuen einfach als solche in einen Stand gebiert, setzt die Individuation unter Bedingungen funktionaler Differenzierung einen Modus reflexiver Selbstbeschreibung anhand von Beobachtungen zweiter Ordnung voraus. »Identität entsteht, indem das Individuum beobachtet, daß (und wie) es beobachtet wird.« (S. 134) Das Streben nach der Anerkennung als Autor zeige so, dass die Exklusionsindividualität nicht allein auf Selbstreflexion gründet, sondern die Differenz zur Umwelt als Reflexionshorizonts bedarf (vgl. S. 138).

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Die Tautologie des »Ich ist Ich«

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Als Gegenpart und zugleich »Herzensbruder« Siebenkäs’ dient die Figur Leibgebers, der für die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit rein selbstreferentieller Identitätskonstitution steht. Leibgeber ist im Gegensatz zu Firmian Siebenkäs Atheist und verkörpert nach Ring die übliche Säkularisierungsthese, dass autonome Individualität keinen Gott nötig habe. Auch auf Ruhm, Autorschaft und gar auf die Identität durch seinen Namen verzichtet Leibgeber explizit, riskiert aber damit nach Rings Interpretation die Auflösung seiner Individualität. »Nicht-Beobachten ist Nicht-Unterscheiden. Was nicht durch Bezeichnung unterschieden wird, hat keine Grenzen, also auch keine Individualität.« (S. 140)

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Leibgeber verteidige dagegen die Option auf reine Selbstreferenz, indem er sich selbst als Beobachter einsetzt und dadurch auch »in der größten Einsamkeit immer zu Dritt sein« könne (Siebenkäs bei Ring, S. 140). Das sich selbst beobachtende Subjekt spaltet sich nicht nur in zwei, sondern produziert in der Spaltung auch ein ausgeschlossenes bzw. eingeschlossenes Drittes, dass es mitzuzählen gilt: Das Ob-Subjekt als Einheit, die der Spaltung vorausgeht, die Einheit der Differenz. Will man diese beobachten, landet man allerdings in einem infiniten Regress, da dieses ausgeschlossene Dritte zu seiner Beobachtung auch eine Unterscheidung braucht, es also zu einer weiteren Unterscheidung von Beobachter und Beobachtetem kommt usw. »Das Dilemma der Reflexionsindividualität ist die Unbeobachtbarkeit des Beobachters.« (S. 140) Im Titan komme Leibgeber bzw. Schoppe deshalb die Identität in der reinen Selbstbezüglichkeit abhanden: »Ich gleich Ich« sind seine letzten Worte: »Die Aufhebung der Differenz zur Umwelt durch den Eintausch der namentlich partikularen gegen die namenlose universelle Ich-Identität reduziert die Identität auf eine Tautologie.« (S. 140) Die Frage, wie sich das System in der Welt selbst enttautologisiere, sei daher die zentrale Frage der Exklusionsindividualität (vgl. S. 141).

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Gott als »Ur-Ich und Ur-Du«

[34] 

Anhand einer Interpretation des Ersten Fruchtstück des Siebenkäs-Romans und Jean Pauls Levana verweist Ring auf die Möglichkeit, das Problem rein selbstreferentieller Reflexionsidentität durch Gott als transsozialen, transzendentalen Beobachter zu lösen. Gott dient als Beobachter, der unabhängig von der Gesellschaft Identität stiftet. Gott werde als »Garant und Beobachter« etabliert, der schließlich, wie es in der Levana heißt, als »Urfreund« oder »Ur-Ich und Ur-Du zugleich« fungiert (S. 190 f.). So erscheine »das Individuum nur in der Differenz zu einem personalen Anderen – Gott und / oder Nebenfigur – als Einheit, die Jean Paul in letzter Instanz als Gott identifiziert« (S. 190).

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Nach Ring zeige sich so bei Jean Paul, dass Gott mit dem Übergang von der Stratifikation zur funktionalen Differenzierung gerade nicht überflüssig werde. Denn im Zuge der Exklusionsindividualität wird Gott als Gegenüber der reflexiv verfassten Individualität erforderlich, damit dieses sich in seiner Einheit erfassen kann, ohne damit auf die Gesellschaft angewiesen zu sein. Gott diene als »transsoziales Korrelat der reinen Selbstreferenz«, wie Ring vor allem aus Jean Pauls Levana oder Erziehlehre entnimmt (S. 191).

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Die Beobachtbarkeit der Welt

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So wie sich das Ich, wenn es sich selbst beobachtet, nicht als Einheit zu sehen im Stande ist, ist auch die Welt unbeobachtbar, gibt es doch keinen Beobachter außer ihr. »Der Unbeobachtbarkeit der Welt korrespondierte die Unbeobachtbarkeit des Beobachters als ausgeschlossenen Dritten im Prozess der Beobachtung.« (S. 210) So wie aber das Ich zur ganzheitlichen Selbstbeobachtung Gott als »Ur-Ich und Ur-Du« nutzen könne, wie es die Ringsche Siebenkäs-Lektüre nahe legt, lässt sich nach Ring auch das Problem der Unbeobachtbarkeit der Welt durch göttliche Transzendenz lösen.

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Im zweiten Blumenstück, dem »Traum im Traum« träumt der Erzähler von der Jungfrau Maria, die, da ihr Herz nach Menschen schmachtet, auf die Erde kommt. Als sie Christus bittet, ein Wiedersehen von geliebten Menschen beobachten zu dürfen, wird sie »träumend Zeugin einiger rührender Szenen von Liebe und Tod« (S. 67). Auch wenn dieser sentimentale »Traum im Traum« zum Kitsch tendiere, betont Andrea Ring die Funktion dieses Blumenstücks: Die Figur des geträumten Traums ermögliche die Operationalisierung der Differenz von Immanenz und Transzendenz und damit die Beobachtung der Welt (vgl. S. 67).

[39] 

Immanenz und Transzendenz sind in Luhmannscher Perspektive nicht durch Referenz, sondern als verschiedene Beobachterperspektiven unterschieden. Während Immanenz all dasjenige umfasst, was die Welt für innerweltliche Beobachtung bietet, ist das Transzendente genau dasselbe, nur aus einer anderen, nämlich extramundanen Perspektive betrachtet. Die Differenz Immanenz / Transzendenz dupliziere folglich die Welt in ein »von innen gesehen« und ein »von außen gesehen«, gerade weil sie nur einmal vorhanden sei (vgl. Luhmann bei Ring 2005, S. 68).

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Ein solches »von außen gesehen« ermöglicht der »Traum im Traum«. Der Erzähler transzendiert seine Realität im Traum, aber in jenem Traum befindet sich ein weiterer, der die Realität spiegelt. »Die Imagination der Transzendenz spiegelt die Immanenz 1:1.« (S. 67) Der »Traum im Traum« erlaube so einen Blick aus der Transzendenz in die Welt hinein. Genauso löse die Unterscheidung Immanenz / Transzendenz die von Luhmann konstatierte ›Unbeobachtbarkeit der Welt‹, die, wie Luhmann vermutet, als Ausgangsproblem der Religion fungiert. »In der religiösen Differenz von Immanenz und Transzendenz wird die Welt als eine Seite der Unterscheidung beobachtbar.« (S. 69)

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Religion als Sozialkritik

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Während jedoch die Religiosität der Frucht- und Blumenstücke göttliche Transzendenz als den Ausweg aus der Unbeobachtbarkeit der Welt und vor allem aus den Problemen selbstreferentieller Individualitätskonstitution vorzeichnen, steht Firmian Siebenkäs in den Dornenstücken diese Möglichkeit offensichtlich nicht offen. Siebenkäs muss auf andere Auswege zurückgreifen: Seinen stets scheiternden Stoizismus, den Humor, die Flucht in die Gelehrsamkeit, oder auch in die Natur (vgl. S. 194). Doch all diese Auswegsmöglichkeiten bleiben beschränkt.

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Dass die transsoziale Konstitution des Ich im Gottesverhältnis, die Andrea Ring als Bezugsproblem der Religion ausmacht, dem Helden Siebenkäs noch verwehrt sind, begründet Ring funktional hinsichtlich der Intention des Romans. Eine »Erlösung des Advokaten Siebenkäs von der Gesellschaft in der Gesellschaft« durch die religiöse Selbstexklusion durch Gott hätte dem Roman seinen »kritischen Stachel« genommen. »Eine Konstruktion der Romanwelt nach dem Vorbild des Paragraphen 39 der Levana hätte somit die Affirmation genau jener Sozialstruktur bedeutet, deren Ungerechtigkeit Jean Paul im Siebenkäs beanstandet.« (S. 199)

[44] 

Den Scheintod Siebenkäs’, der den Wendepunkt des Jean Paulschen Romans markiert, wurde etwa von Käte Hamburger, auf deren Interpretation Andrea Ring exemplarisch eingeht, als religiöses Motiv der Wiedergeburt und Auferstehung gedeutet (vgl. S. 86). Nach Ring ist dies jedoch ein Klischee der Jean Paul Forschung. Das Kapitel des Scheintods selbst sei »bestenfalls ein tragikomisches Zwischenspiel«, das Firmian Siebenkäs den Ausweg aus seiner unglücklichen Ehe und aus der stratifizierten Gesellschaft Kuhschnappels erlaube (vgl. S. 87). Nicht das Sterben stehe im Mittelpunkt des Romans, »sondern das Leben in einer Gesellschaft vor und nach dem Scheintot sowie die sozialen Gründe für diesen« (S. 87).

[45] 

So werde nach Andrea Ring im Siebenkäs deutlich, dass die Religion nicht auf die Affirmation der Verhältnisse, sondern »zur Kritik der stratifizierten Gesellschaft« (S. 199) diene, indem sie auf deren Kontingenz verweise. Des Erzählers Gebrauch religiöser Semantik wende so die affirmative Funktion der Religion in eine sozialkritische.

[46] 

Diese sozialkritische Funktion der Religion wird von Ring systemtheoretisch plausibilisiert. Nach Luhmann könne der »Anstoß zum Aktivwerden religiöser Orientierung« nicht nur im Unbestimmbaren liegen, um dieses als Bestimmtes zu affirmieren, sondern auch »vom Bestimmten ausgehen, das mit Hilfe der Religion wiederaufgelöst« werde.

[47] 
Dann leistet die Religion dank ihrer Funktion zugleich ein Regenerieren von Unbestimmbarkeit, für die nur sie über adäquate Behandlungsmuster verfügt. In den Intersystembeziehungen der Gesellschaft kann das auf eine Kritik der Familienhaushalte und auf eine Kritik der politischen Herrschaft hinauslaufen. (Luhmann bei Ring, S. 199)
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Kunst und Religion

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Dass Jean Paul seinen Helden nicht durch göttliche Transzendenz versöhnt, wie in den Vorreden, Blumen- und Fruchtstücken eigentlich nahe gelegt wird, sondern ihm durch den inszenierten Scheintod eine Art irdische Transzendenz beschert, begründet Andrea Ring zudem mit der »Differenz von Kunst und Religion« (S. 203). An die Stelle des transzendenten Himmels der Religion tritt nach Ring die Literatur. Der Wirklichkeit stelle Jean Paul so »die Möglichkeit einer neuen Gesellschaft gegenüber, die er nicht wie Siebenkäs religiös chiffriert, sondern literarisch gestaltet« (S. 203).

[50] 

Nach Luhmann haben Kunst und Religion gemeinsam, dass die Art ihrer Beobachtung eine Verdopplung der Realität bewirkt: Das Kunstwerk erzeugt eine fiktionale und eine reale Realität, wie auch die religiöse Sakralisierung die Realität in Immanenz und Transzendenz spalte. So werde durch Religion und Kunst Realität allererst als solche beobachtbar (vgl. Luhmann bei Ring, S. 203). Dadurch erlauben beide Systeme die Einsicht, »dass die Welt nicht so sein muss, wie sie ist« (S. 204) und dienen zur »Reaktivierung ausgeschalteter Possibilitäten« (Luhmann bei Ring, S. 204).

[51] 

Die Kunst betreibe diese »Regeneration von Unbestimmtheit« jedoch »mit dem signifikanten Unterschied, dass die Kunst den unbestimmten Möglichkeiten eine bestimmte Form gibt« (S. 204), während die Religion dies unterlassen muss. Während das Kunstsystem »Wahrnehmbares für Kommunikation verfügbar« macht, hat es das Religionssystem »mit etwas zu tun, was man seinem Wesen nach nicht wahrnehmen kann und was gerade dadurch ausgezeichnet wird« (Luhmann bei Ring, S. 204). Religion kann daher allein eine »symbolische […] Bestimmung des prinzipiell Unbestimmbaren« (S. 204) vornehmen.

[52] 

Die literarische Fiktion von Siebenkäs’ Leben nach dem Scheintod in Vaduz zeichnet dieses jedoch nicht als paradiesischen Himmel. Zwar herrscht hier statt einem schlechten ein guter Feudalherr, aber Siebenkäs hat es auch unter diesem nicht leicht. Auch hier bleibt er der Beobachter von in seinen Augen »unrechten Verhältnissen« (S. 206).

[53] 

Im Gegensatz zu seinem vorherigen Leben mit Lenette hat Siebenkäs nach seinem Scheintod in Vaduz jedoch eine glücklichere Liebe. Am Ende des Buchs steht seine Hochzeit mit Natalie. Im Siebenkäs setzt Jean Paul, wie Ring sieht, daher letztlich »auf die Liebe als Medium zur Erlösung des Individuums von der Gesellschaft« (S. 206) und damit auf eine »säkulare Form der Problemlösung« (S. 210).

[54] 

Da die Verwirklichung des Liebesideals wie jede Verwirklichung einer Möglichkeit andere ausschließt, bleibe bei Jean Paul letztlich für die Behandlung der nicht hintergehbaren Kontingenz die Religion zuständig. Denn, wie eine Stelle aus dem Titan herausstelle, wäre auch in Arkadien das Bedürfnis nach Utopie und Transzendenz nicht gestillt. Jede Markierung erzeugt einen unmarked space (vgl. S. 207). Gerade die nach dem Scheintod durch das Schauspiel gegenüber dem Vaduzer Grafen fortgesetzte Theatralisierung der Welt verweise auf die Kontingenz der Gesellschaft, deren Bearbeitung letztlich die Religion übernehme (vgl. S. 208).

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Zur Kritik

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Natürlich ist wie bei vielen literaturwissenschaftlichen Theorieapplikationen zu fragen, inwiefern der systemtheoretische Zugriff der Analyse neue Ergebnisse bringt oder doch nur alte in neuer Terminologie reformuliert. Dass sich etwa der Protagonist Siebenkäs als Vorreiter moderner Individualisierung seine Identität jenseits gesellschaftlicher Konventionen schafft und daher auch seine Religiosität von der der übrigen Kuhschnappler abweicht, sind gewiss keine wirklich neuen Thesen. 1 Doch zielt Rings Arbeit über einen bloßen Beitrag zur Siebenkäs-Forschung hinaus. Im Vordergrund steht nichts weniger als eine Verteidigung der Religion im Sinne der Begründung ihrer Modernität. Rings Kritik der gängigen Säkularisierungsthese mit den Mitteln der Systemtheorie, angewandt an Jean Pauls Siebenkäs und Musils Mann ohne Eigenschaften, ist durchaus als kreatives literaturwissenschaftliches Unternehmen zu würdigen.

[57] 

Trotz der starken Intention und des komplexen systemtheoretischen Zugangs ist Rings Analyse differenziert und sehr nahe am Text des Siebenkäs angelegt. Dessen Interpretation anhand Luhmanns Thesen zur Individualitäts-, Religions- und Liebessemantik ist meist überzeugend. Nicht überzeugend ist wie bereits erwähnt die Gliederung, die zu Redundanzen nötigt, während andere zentrale Stellen der oft weit gespannten Argumentationsbögen dagegen überraschend knapp ausfallen. Die Argumentationsstruktur ist weniger transparent als bei solchen komplexen Überlegungen wünschenswert wäre.

[58] 

Problematisch scheint aber vor allem eine die Arbeit durchziehende These zum Verhältnis von Sozialstruktur und Semantik. Nach Ring ergibt ihre Interpretation des Siebenkäs eine »Korrektur der systemsoziologischen Grundannahme«, dass die semantische Evolution dem soziostrukturellen Wandel folge. Denn die Luhmannsche Annahme, dass die Semantik der Exklusionsindividualität sowie die Trennung von Religion und Moral dem Wandel der primären gesellschaftlichen Differenzierung folgen, findet Ring im Siebenkäs nicht bestätigt.

[59] 

Die Exklusion des Individuums in Form der Differenzierung von Rolle und Person ging im literarischen Text ebenso wie die Trennung der Religion von der Moral der gesellschaftlichen Evolution voraus. Auch die Evolution der religiösen Semantik konnte dann nicht auf einen sozialen Strukturwandel zurückgeführt werden, sondern fungierte umgekehrt als Mittel zur Kritik der Kuhschnappler Gesellschaft (vgl. S. 209).

[60] 

Daher ist Andrea Ring der Ansicht, der Leser Jean Pauls müsse »die Vorgängigkeit der gesellschaftlichen Transformation vor der semantischen Evolution bestreiten« (S. 99).

[61] 

Wie Ring hier die Unterscheidung zwischen Sozialstruktur und Semantik handhabt, scheint jedoch abenteuerlich. Fast drängt sich der Eindruck auf, die Autorin verstehe die fiktive Gesellschaft der Kuhschnappler als den soziostrukturellen Referenzrahmen, auf den die Semantik der Figur Siebenkäs bezogen werden könne. Daraus scheint sie zu folgern, dass die Semantik in diesem Falle der soziostrukturellen Transformation vorausgehe, anstatt, wie Luhmann für den Normalfall postuliert, aus dem soziostrukturellen Wandel zu folgen.

[62] 

Abgesehen davon, dass die Unterscheidung Semantik / Sozialstruktur in Luhmanns Systemtheorie insgesamt nicht leicht zu handhaben scheint, weil Sozialstruktur offensichtlich immer nur als Semantik zugänglich ist, 1 scheint es sehr fraglich, inwieweit es sinnvoll ist, den Term der Sozialstruktur auf eine literarisch-fiktive Gesellschaft zu beziehen. Anstatt die Vorgängigkeit der Semantik des Armenadvokaten gegenüber seiner rückständigen Gesellschaft als Zeichen dafür zu werten, dass die Semantik des Individuums Siebenkäs jenseits soziostruktureller Transformationen evoluieren kann, schiene es angemessener, die Kuhschnappler Gesellschaft als ein Element einer literarischen Semantik zu identifizieren, die dann eventuell auf die Sozialstruktur der Gesellschaft zur Zeit Jean Pauls bezogen werden könnte. Vielleicht sähe man dann etwa, dass die literarische Konstruktion einer rückständigen Gesellschaft als Abgrenzungskontext für den literarischen Helden dient, ohne dass dabei die reale Sozialstruktur notwendigerweise widergespiegelt werden muss. Dann könnte man vielleicht fragen, inwiefern die Individualität des Helden mitsamt dessen Religiosität nicht doch als eine literarische Semantik begriffen werden kann, die sich auf soziokulturelle Veränderungen der Gesellschaft bzw. auf zeitgenössische Individualitätssemantiken rückbeziehen ließe. Einen Hinweis auf die Richtigkeit oder Falschheit der Luhmannschen These, die Semantik korreliere mit der Sozialstruktur, kann die textimmanente Analyse eines literarischen Werkes jedenfalls kaum bieten.

[63] 

In dieser Hinsicht scheint bedauerlich, dass das systemtheoretische Werkzeug in Rings Studie nicht für eine soziologische bzw. sozialgeschichtliche Kontextualisierung des Werks genutzt wird, sondern dieses mit den Mitteln der soziologischen Theorie doch nur textimmanent interpretiert wird.

 
 

Anmerkungen

Zur Problematik der Unterscheidung Semantik / Sozialstruktur vgl. Urs Stäheli: Die Nachträglichkeit der Semantik. Zum Verhältnis von Sozialstruktur und Semantik. In: Soziale Systeme 4 (1998), S. 315–339 sowie Rudolf Stichweh: Semantik und Sozialstruktur: Zur Logik einer systemtheoretischen Unterscheidung. In: Soziale Systeme 6 (2000), S. 237–250.

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